Waffenlieferungen aus Deutschland an Kurden in Nordirak sind ein dramatischer Schwenk. Es ist ein Armutszeugnis, dass die Bundesregierung jede Diskussion darüber verweigert, kommentiert der StZ-Redakteur Thomas Maron.

Berlin - Die Bundesregierung will die Kurden im Nordirak bewaffnen. Das ist der fulminanteste Kurswechsel der deutschen Außenpolitik seit dem Einsatz der Bundeswehr im Kosovokrieg. Waffenlieferungen an eine Kriegspartei in einer Krisenregion waren bisher tabu. Diese außenpolitische Zurückhaltung und der in der Bevölkerung tief verwurzelte Argwohn gegenüber der Vorstellung, Waffen könnten Teil der Lösung statt Teil des Problems sein, sind ein historisches Vermächtnis, geschuldet den furchtbaren Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg.

 

Die Bundesregierung nennt für ihren Kurswechsel zwar gewichtige Gründe, scheut aber jede Diskussion über die Risiken. Das barbarische Morden der IS-Terrormiliz, die zynische, beklemmend professionell aufbereitete Zurschaustellung der Gräueltaten im Internet und das menschenverachtende archaische Weltbild der Kämpfer wecken Zorn und die Sehnsucht, es diesen Schlächtern heimzuzahlen. Dennoch ist die Gefahr groß, dass mit der Entscheidung, Waffen zu liefern, mehr Probleme geschaffen als gelöst werden.

Sorge der westlichen Staaten

Das Schicksal der verfolgten Christen und Jesiden ist nicht der einzige, vor allem aber nicht der entscheidende Grund für den Kurswechsel der Bundesregierung. Es hat in der Vergangenheit viele Volksgruppen gegeben, deren verzweifelter Hilferuf in Berlin nicht erhört wurde. Deshalb dürften geopolitische Überlegungen und nicht humanitäre Gründe den Ausschlag für die Waffenlieferungen gegeben haben. Die westlichen Staaten treibt die Sorge um, dass sich auf dem Gebiet der zerfallenden Staaten Syrien und Irak ein islamistischer Gottesstaat etabliert.

Die Peschmerga-Krieger in der autonomen kurdischen Region nähren, anders als Iraks Armee, die Hoffnung des Westens, nicht in den Konflikt involviert zu werden. Auch dies ist ein rationales, ein starkes Argument. Aber anders als die lautstark von der Regierung vorgetragene Warnung vor einem unmittelbar bevorstehenden Völkermord erzeugt es nicht das beklemmende Gefühl, dass die Waffenlieferungen alternativlos sind und dass das Ende aller Debatten ein Gebot der Menschlichkeit ist.

Keim für den nächsten kriegerischen Konflikt

Es ist deshalb ein Armutszeugnis, dass die Bundesregierung angesichts der Tragweite der Entscheidung jede Diskussion über die Konsequenzen der Waffenlieferung verweigert. Dies wohl auch deshalb, weil Informationen aus dem Kampfgebiet nicht ausreichend belastbar sind. Noch ist nicht einmal klar, was gebraucht wird. Über die Stärke der kurdischen Peschmerga-Truppen kursieren unterschiedliche Angaben. Dass sie die aktuelle Stimmungslage nutzen, um mit internationaler Unterstützung Waffendepots aufzufüllen, ist nachvollziehbar. Aber sollten die Kurden die IS-Milizen tatsächlich bezwingen, werden sie die Waffen nicht mit Worten des Dankes an den Absender zurücksenden. Die Kurden verfolgen nach jahrzehntelanger Unterdrückung eigene territoriale Interessen. Wer sie aufrüstet, legt den Keim für den nächsten kriegerischen Konflikt. Wenn die Kurden unterliegen, werden die IS-Milizen über Hightechwaffen deutscher Bauart verfügen. Es ist ein Teufelskreis.

Es gibt auf all diese Fragen keine Antworten, die einen ruhig schlafen lassen, und keine Entscheidung, mit der man sich vor der Geschichte freisprechen kann. Aber gerade deshalb wäre es so wichtig, aufrichtig Chancen und Risiken abzuwägen. Die Bundesregierung hat sich aber selbst mit ihrer pathosbeladenen Ankündigung, international mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, in Zugzwang gebracht. Sie exekutiert deshalb eine fundamentale Weichenstellung im Eiltempo. Der Bundestag wird nicht gefragt. Ein kurzes Statement der zuständigen Minister, das war’s. Und Kanzlerin Angela Merkel? Die duckt sich weg. Wie immer, wenn Überzeugungen gute Umfragewerte gefährden könnten.