Nach einem halben Jahr mit Matteo Renzi als Ministerpräsidenten macht sich in Italien Ernüchterung breit: Die Lage hat sich nicht gebessert. Dabei habe Renzi einiges erreicht, schreibt der StZ-Korrespondent Paul Kreiner.

Rom - Ein halbes Jahr nun ist Matteo Renzi im Amt, und der Sympathievorschuss, den ganz Europa, den alle Medien dem so jungen, so stürmischen, so lockeren italienischen Regierungschef entgegengebracht haben, scheint verbraucht. „Allzu viele messianische Erwartungen“, schreiben italienische Leitartikler, hätten die eigenen Landsleute in diesen Premier gesetzt. Und jetzt?

 

Die Konjunkturdaten in Italien deuten wieder einmal auf eine Rezession hin. Die allgemeine Arbeitslosenrate fällt zwar leicht, aber bei jungen Leute steigt sie weiter; die Staatsschulden tun das auch. Trotz der monatlich 80 Euro, die Renzi den Geringverdienern schenkt, bleibt die für das Wiederaufleben der Wirtschaft nötige Inlandsnachfrage tot. Praktisch hat sich nichts getan, was die Lebenslage der Italiener verbessern würde. Auch in Europa meint man, dass der Imageverbesserung nun endlich Taten folgen müssten. Nicht umsonst hat sich Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank, dieser Tage seinen Landsmann zur Brust genommen.

Gemessen an dem, was möglich war, sieht Renzis Zwischenbilanz jedoch nicht schlecht aus. Er hat – zumindest im ersten Schritt – eine Parlamentsreform durchgeboxt, wie sie keiner vor ihm gewagt hat. Dabei muss Renzi mit einer Volksvertretung regieren, die zwar von seinen Sozialdemokraten dominiert wird – aber von Abgeordneten, die dem Partei- und Regierungschef größtenteils ablehnend   gegenüberstehen. Die Kandidaten waren vor den Wahlen 2013 ja genau danach ausgesucht worden: Renzi hatte die innerparteiliche Vorwahl gegen Pier Luigi Bersani verloren, und dieser tat alles, um möglichst wenige „Renzianer“ ins Parlament zu bekommen.

Renzis Reformen werden Zeit brauchen

Renzi unternimmt auch nichts, um die Partei werbend auf seine Seite zu ziehen. Die Reformen, die er für nötig hält, drückt er der Fraktion per Dekret auf. Von unten kommt wenig: Man bockt gegen den „Selbstherrlichen da oben“, und außerdem hat Renzi einen Pakt mit dem Erzfeind, mit Silvio Berlusconi, geschlossen. Für die nötigen Verfassungsreformen war das unerlässlich, aber die wackeren Linken verzeihen ihm das nie.

Der größte Fehler Renzis, der auch sein Verhängnis werden könnte, besteht darin, dass er von Anfang an unrealistische Hoffnungen geweckt hat. Monat für Monat wolle er eine Reform für Italien durchziehen, versprach Renzi Mitte Februar: „Im März den Arbeitsmarkt, im April die öffentliche Verwaltung, im Mai die Steuern.“ Jetzt ist August, alles ist irgendwie begonnen worden, aber alles hängt fest. Und selbst wenn der als Erstes angekündigte, dann schmählich verdrängte „Jobs Act“ zur Schaffung von Arbeitsplätzen im September endlich Gesetz werden sollte, so wird es Monate oder Jahre dauern, bis er wirkt.

Genau das ist es, was Renzi den Italienern nicht sagt: dass auch die besten Maßnahmen Zeit brauchen, bis sie greifen; dass dies schmerzhaft sein kann und dass Italien nicht wachsen kann, wenn selbst der wichtigste Wirtschaftspartner Deutschland – wie jetzt im zweiten Quartal – ein Minus vor den Konjunkturdaten hat. Mit seinem Hoppla-jetzt-komm-ich-Stil hat Matteo Renzi seine Landsleute bei deren Wundergläubigkeit gepackt, nicht aber ihren Realismus gefördert.

In diesem Gestrüpp verheddert er sich gerade. Ein Gerhard Schröder hat das anders gemacht. 2003 präsentierte er sein langfristig angelegtes Ensemble von Strukturreformen: die „Agenda 2010“, mit der Deutschland – damals der „kranke Mann Europas“ – langfristig zur Erfolgsnation geworden ist. Diese weite Sicht, dieser lange Atem fehlt Renzi. Er müsste jetzt seine Partei und alle Italiener guten Willens in eine umfassende „Agenda 2020“ einbinden. Mit seinen Wortwirbeln, seinen Einzelbaustellen und seiner   Alleinherrschafts-Attitüde kommt er nicht mehr weit.