Der Konflikt auf der koreanischen Halbinsel spitzt sich immer weiter zu. Käme es zu einem Krieg, wäre es ein Atomkrieg, befürchtet der StZ-Redakteur Christian Gottschalk. Doch diese Katastrophe kann noch verhindert werden.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Es lässt sich nun wirklich nicht behaupten, dass Nordkoreas Herrscher Kim Jong-un und seine Generäle nicht lernfähig wären. Die militärische Strategie, die hinter all den Drohungen steckt, mit denen die Nordkoreaner derzeit die Welt in Atem halten, hat ein ziemlich prominentes Vorbild. „Massive retaliation“, die massive Vergeltung, war zwischen 1957 und 1967 offizielle Nato-Doktrin. Das konventionell überlegene Russland wäre im Falle eines Angriffes von den atomar überlegenen USA zerstört worden.

 

Fürwahr, es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen der damaligen Zeit und der heutigen Situation auf der koreanischen Halbinsel – es gibt aber auch eine erschreckende Gemeinsamkeit. Der Unterschied liegt in den handelnden Personen. Während man den führenden Köpfen der westlichen Allianz – bei aller möglichen Kritik – ein gewisses Maß an Besonnenheit zugetraut hat, weiß niemand so genau, wie stark diese Eigenschaft in Pjöngjang ausgeprägt ist.

Nordkoreas Militär ist unterlegen

Wird in Nordkoreas Hauptstadt rational entschieden, dann ist nicht viel zu befürchten, schließlich muss auch Nordkoreas Führung wissen, dass ein bewaffneter Konflikt, der über das Ausmaß eines Scharmützels hinausgeht, ihr Untergang sein wird. Wenn in Pjöngjang allerdings die Emotionen die Oberhand gewinnen, dann ist es schlecht bestellt um die Welt. Womit die erschreckende Gemeinsamkeit in den Fokus rückt. Wenn es zu einer ernsthaften, realen kriegerischen Auseinandersetzung kommen sollte, dann ist der Einsatz von Atomwaffen nahezu unausweichlich.

Nordkoreas Militär ist den Streitkräften des Südens konventionell massiv unterlegen. Ein Vorstoß des Nordens würde aller Voraussicht nach nicht lange andauern und könnte zügig zurückgeschlagen werden. Das Regime in Pjöngjang sähe dann wohl keinen anderen Ausweg mehr, als die Bombe zu zünden. Das gilt auch für den Fall, dass Washington seinem südkoreanischen Verbündeten mit der gleichen Taktik zur Hilfe eilt, mit der die USA in den Konflikten der jüngeren Geschichte zu Felde zogen. In Libyen und im Irak galten die Militärschläge der ersten Tage den Kommunikationseinrichtungen des Gegners. Im konkreten Fall bedeutete dies ein Luftangriff auf Nordkoreas Hauptstadt – was dort wiederum den Finger am atomaren Auslösemechanismus zucken ließe. Es versteht sich von selbst, dass dies unter allen Umständen zu vermeiden ist.

Gedankenspiele mit China

Entspannt war die Situation auf der Koreanischen Halbinsel in den letzten 50 Jahren nie – allerdings war sie auch noch nie so gefährlich. Nordkoreas Drohungen wirken bombastisch, sind bei genauem Hinhören allerdings mit einem „wenn“ verbunden. Man werde zuschlagen, tönt es laut aus Pjöngjang, und etwas leiser: wenn der Feind weiter provoziere. Für Südkorea und die USA heißt dies: es ist von dramatischer Wichtigkeit, alles zu vermeiden, was eine militärische Reaktion provozieren könnte. Das allein reicht allerdings nicht mehr aus. Die Was-wäre-wenn-Frage muss so intensiv und schnell beleuchtet werden wie niemals zuvor. Dabei gilt es auch an Möglichkeiten zu denken, die bisher undenkbar schienen, beispielsweise an eine militärische Zusammenarbeit Chinas mit den USA.

Es ist mehr als nur ein Gedankenspiel wert, dass China im Falle eines Falles die Nuklearanlagen bei seinem Verbündeten kurzfristig übernimmt, um so Unheil von der Welt abzuwenden. Peking müsste dafür gewaltig über den eigenen Schatten springen, die USA müssten es allerdings auch. Der chinesische Einsatz dürfte nur dazu dienen, die aufgeheizte Situation im Augenblick nicht weiter eskalieren zu lassen, eine generelle Verschiebung der Rahmenbedingungen darf damit keinesfalls einhergehen. Nordkorea muss als Staat erhalten bleiben – inklusive seines irrationalen Regimes. Dafür bräuchte Peking die unumstößliche Garantie Washingtons.