Stuttgarter Oper und Caritas bringen Opernbesucher mit Geflüchteten zusammen – eine Idee, die Unterstütztung und Wertschätzung verdient.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Glückwunsch, Stuttgart! Glückwunsch zu seiner Oper – nicht weil sie jüngst von der Zeitschrift „Opernwelt“ zum Opernhaus des Jahres 2016 gewählt worden ist; die Glückwünsche dafür wurden schon entrichtet. Nein, Glückwunsch zu der Idee, Flüchtlingen den Besuch einer Vorstellung zu ermöglichen. Seit Beginn der Spielzeit sind Abonnenten, überhaupt alle Opernliebhaber, eingeladen, Flüchtlinge mit auf ihr Ticket zu nehmen. Die Caritas vermittelt die Karten an interessierte Personen, begleitet sie in die Oper und bringt sie mit den Spendern zusammen. Die Deutsche-Bank-Stiftung unterstützt die gute Idee mit einem Zuschuss. Ein bundesweit einmaliges Projekt.

 

Etwa 50 Flüchtlinge, viele aus Syrien, kamen bisher in den Genuss einer Aufführung von Verdis „Rigoletto“ oder Rossinis „Barbier von Sevilla“. Ihre Reaktionen fielen so aus, wie Künstler es sich von ihrem Publikum wünschen: emotional, intensiv, teils überschwänglich. Wo andere routiniert das Dargebotene beklatschen, steht bei den im Haus St. Martinus untergebrachten Menschen ein Staunen. Für viele war es die erste Oper überhaupt. Ein unwirklich schönes Gegenprogramm zu dem, was hinter ihnen liegt: die grausame Wirklichkeit des Krieges.

Ein Opern-Besuch ist etwas besonderes

„Dank Ihnen habe ich einen schönen Tag gehabt“, schrieb ein 17-jähriger Flüchtling nach dem dreistündigen Ausflug in die Welt der Oper an seinen Kartenspender. In fehlerlosem Deutsch und in einer Klarheit, die einen demütig werden lässt. Abdul Rahman ist sein Name, aufgewachsen im Süden Syriens, an der Grenze zu Jordanien. Bei einem Bombenangriff auf seine Schule vor zwei Jahren hat er sein rechtes Auge verloren. Sein linkes Knie wurde zerschmettert. In diesem Moment spürt man: Nichts von dem, was wir als gegeben ansehen, ist selbstverständlich. Der Besuch einer Oper, die Begegnung mit Musik, überhaupt mit Kultur, ist etwas Besonderes. Und es ist ein Geschenk, an einem Ort zu leben, an dem keine Bomben auf Schulen fallen und an dem Kinder nicht plötzlich ihr Augenlicht verlieren oder die Fähigkeit, Luftsprünge zu machen. Ein Geschenk, das man nicht genug wertschätzen kann.

Ein anderer Geflüchteter aus Syrien, Jamil Abulhawa (33), ehemals Reiseleiter in Damaskus, gehört inzwischen selbst zu den Kulturschaffenden in Stuttgart; er singt in dem von Schauspielerin Hanna Plaß und Opernsängerin Simone Jackel angeregten – und für alle Interessierten offenen – Internationalen Chor. Mit diesem stand er bereits auf der Bühne im Großen Haus. Glückwunsch, Stuttgart! Auch zu seinen Freundeskreisen, die sich jenseits der schwankenden Tagespolitik um Geflüchtete kümmern, mit ihnen Deutsch lernen, sie begleiten und ermutigen, Teil der Stadtgesellschaft zu sein.

Die Idee lässt sich erweitern

Diese Glückwünsche sollten allerdings nicht falsch verstanden werden. Sie geben keinen Anlass, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Auch in Stuttgart kann noch vieles besser werden. Und doch gilt es, die Anstrengungen um kulturelle und persönliche Begegnungen zu würdigen. Sie machen keine kaputten Knie heil. Aber vielleicht ein bisschen die Seele.

Geflüchteten Menschen mittels Kultur Perspektiven zu öffnen – diese Idee lässt sich noch erweitern. Auch auf Menschen, die, ohne geflüchtet zu sein, zu den sozial Schwachen zählen. Rossini für Obdachlose, Verdi für Hartz-IV-Empfänger. Glückwunsch, Stuttgart, wenn das gelänge!

jan.sellner@stzn.de