Das Massaker an der Schule im pakistanischen Peshawar stellt eine neue Stufe der Brutalität dar. Damit könnte auch eine neue Welle des Terrors eingeleitet worden sein, kommentiert der StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Verbrechen an Kindern gehören zu den abscheulichsten Untaten. Das Massaker von Peshawar hat sowohl bei der Brutalität der Täter als auch bei der Anzahl der Opfer ein Ausmaß erreicht, das seinesgleichen sucht. Das Blutbad im Norden Pakistans macht auf der ganzen Welt sprachlos und betroffen. Was müssen das für Menschen sein, die wehrlose Kinder kaltblütig niedermetzeln, fragt man sich nicht nur hierzulande. Wem wollen diese Taliban etwas beweisen, indem sie den Namen Allahs missbrauchen und unschuldige Schüler niedermähen, die dem gleichen Glauben angehören wie ihre Mörder?

 

Es sind Mitglieder eines weltweit agierenden Terrorsystems, und das befindet sich in einem dramatischen Prozess der Umwälzung. Al-Kaida, der einstige Inbegriff des dschihadistischen Grauens, ist spätestens in diesem Jahr durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) von der Spitzenposition verdrängt worden. Dahinter gibt es einen perversen Kampf um Aufmerksamkeit. Insgesamt 16 verschiedene Gruppen mit dschihadistischem Hintergrund haben sich allein im vergangenen November zu tödlichen Anschlägen rund um den Globus bekannt. 170 Menschen sind dabei ums Leben gekommen – pro Tag. In einem Monat hat der islamistische Terror fast doppelt so viele Menschenleben gefordert wie die Anschläge vom 11. September 2001. Die Mehrzahl der Toten waren Zivilisten, fast alle waren Moslems – wie die Kinder von Peshawar.

Die Terrororganisationen brauchen Mitstreiter

Terror ist ein Geschäft. Die daran Beteiligten finanzieren sich mit dem Handel von Drogen, Waffen, Menschen und Rohstoffen. Um in dem Geschäft erfolgreich zu sein, braucht es Mitstreiter. Das brutale Vorgehen des Islamischen Staates hat den Newcomern gewaltigen Zulauf beschert. Aus Europa, vor allem aber vor Ort. Stammesfürsten, die bisher Al-Kaida die Treue gehalten haben, sind inzwischen in das Lager der konkurrierenden Terrormacht gewechselt. Das inspiriert die Statthalter des Terrors auch an anderen Orten, ihre Vormachtstellung durch Brutalität unter Beweis zu stellen. In Nigeria hat Boko Haram vor drei Wochen sogar eine Moschee in die Luft gesprengt. 120 Gläubige starben.

In Pakistan musste Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP), die Dachorganisation der Dschihadisten vor Ort, im Sommer mehrere Abspaltungen hinnehmen. Mit dem Bekenntnis zu dem Blutbad von Peshawar hat sich die Organisation nun zurückgemeldet. Noch ist nicht klar, ob die selbst für pakistanische Verhältnisse ungewohnte Brutalität auch Teil einer neuen Partnerschaft ist. Tatsache ist jedoch, dass TTP bisher der Al-Kaida nahestand und dass mehrere hochrangige pakistanische Terrorführer in den letzten Wochen ihre Sympathien für den IS zum Ausdruck gebracht haben – auch wenn sie IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi nicht die Treue geschworen haben. Dass der IS ein Interesse daran hat, seinen Einflussbereich über den Irak und Syrien hinaus auszudehnen, gilt als sicher. Das ist ein alarmierender Ausblick.

Die Friedensverhandlungen sind ohne Chance

Die Atommacht Pakistan ist schon in der Vergangenheit nicht mit dem hausgemachten Terror fertig geworden. Politik, Armee und Geheimdienste spielen ein undurchsichtiges Spiel, agieren in wechselnden Bündnissen mehr gegeneinander als miteinander. Die Taliban dienten dabei mal der einen, mal der anderen Seite als Verbündete. Angesichts des Abzugs der internationalen Kampftruppen aus dem benachbarten Afghanistan zum Jahreswechsel wäre es doppelt wichtig, wenn sich die Situation in dem Atomstaat stabilisierte. Danach sieht es nicht aus. Die vom Premier angestrebten Friedensverhandlungen mit den Taliban sind nach dem Angriff auf die Militärschule erst einmal ohne Chance. Und wenn der IS hier neue Verbündete findet, dann ist das grausige Massaker an den Kindern von Peshawar womöglich erst der Anfang einer neuen Welle von Gewalt.