Die Streiks der Piloten bei der Lufthansa und ihrer Tochter Germanwings setzen den Gesetzgeber unter Druck, solche unverhältnismäßigen Aktionen zu unterbinden. Die Regierung darf dabei nicht überziehen, warnt Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Nicht wenige Arbeitnehmer dürften davon träumen, mit 55 Jahren den Dienst zu quittieren, um auf sicherer finanzieller Basis noch einmal etwas Neues anzufangen. Die Lufthansa-Piloten haben diese Freiheit, denn das Unternehmen gewährt ihnen dafür eine sehr großzügige Übergangsversorgung. Sie erhalten bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter an die 60 Prozent des Bruttogehalts, ohne für ihren Arbeitgeber fliegen zu müssen. Dabei zählen die Piloten ohnehin schon zu den bestdotierten Angestellten der Republik.

 

Derlei Privilegien sind über viele Jahre gewachsen, aber nicht mehr in dem Maße gerechtfertigt. Alle anderen Beschäftigten müssen sich auf längeres Arbeiten einstellen oder Einbußen hinnehmen, wenn sie eher aufhören. Dennoch kämpfen die Piloten mit Brachialgewalt für ihre Ausnahmestellung – auch auf Kosten von Tausenden Flugpassagieren. Diesen fehlt zunehmend das Verständnis für die erneuten Streiks bei der Lufthansa oder deren Töchtern, wie jetzt wieder Germanwings.

Die größere Gewerkschaft soll den Ton angeben

Ob sich Funktionseliten wie die Piloten noch lange eine solch egoistische Haltung leisten können, ist fraglich. Die große Koalition hat sich vorgenommen, Spezialistenverbänden die Flügel zu stutzen. Ein für den Herbst geplantes Gesetz zur sogenannten Tarifeinheit soll verhindern, dass ein Unternehmen ständig von Arbeitskämpfen erschüttert wird. Künftig soll sich die jeweils kleinere Gewerkschaft bei Streiks prinzipiell nach der Friedenspflicht der größeren Gewerkschaft richten – es sei denn, die Zuständigkeiten sind klar getrennt. Die Lufthansa ist das Paradebeispiel für den Handlungsbedarf: Immer wieder wird der Konzern von einer der zahlreichen Arbeitnehmerorganisationen mit Blockaden beeinträchtigt. Es versteht sich von selbst, dass das Management diese Dauerunruhe angesichts der ungleichen Konkurrenz im internationalen Luftverkehr nicht länger hinnehmen mag.

Ohne die Konfrontationen bei Lufthansa und Deutscher Bahn, wo die Lokführergewerkschaft ihre Schlüsselposition auszunutzen versucht, wäre der Druck auf den Gesetzgeber viel geringer. Nun quält sich Arbeitsministerin Andrea Nahles damit herum – mehr, als ihr lieb ist. Die Kunst ist es, wirksame Regelungen zu ersinnen, die vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. Die frühere schwarz-gelbe Koalition ist an dem Plan zur Neuordnung gescheitert. Auch Nahles droht eine Niederlage auf dem Feld, wenn Karlsruhe die Freiheit der Tarifparteien über alles stellt.

Gewerkschaftspluralität muss erhalten bleiben

Das Gesetzesvorhaben steckt voller Brisanz, weil es das Verhältnis der Arbeitgeber zu den Arbeitnehmern neu definieren könnte. Insofern ist es erstaunlich, dass die Diskussion nur in Expertenkreisen geführt wird – dort jedoch mit großer Vehemenz. Bei allem Unmut über ausufernde Lufthansa-Streiks darf die Koalition den Wettbewerb mehrerer Gewerkschaften im Betrieb nicht unmöglich machen. Zumeist richtet dieser kein Chaos an, wie sich zum Beispiel in den Krankenhäusern zeigt, wo Verdi und der Marburger Bund konkurrieren.

Zudem ist das Streikrecht das höchste Gut der Sozialpartnerschaft. Abgesehen von der Lufthansa, wo Cockpit schon im April den Bogen überspannt hat, gehen die Gewerkschaften meist respektvoll damit um. Es darf nicht durch die Hintertür vom Gesetzgeber ausgehebelt werden, nur weil die Wirtschaftsverbände intensive Lobbyarbeit betreiben. Folglich muss man Gewerkschaftspluralität auch künftig aushalten können – nur eben so, dass sich speziell im sensiblen Verkehrsbereich ein geordnetes Miteinander einstellt und die Verhältnismäßigkeit bei Arbeitskämpfen gewahrt bleibt. Dies mag juristisch der Quadratur des Kreises gleichkommen. Wenn die Koalition aber Streiks insoweit einschränken würde, dass Berufsorganisationen praktisch zu Bittstellern degradiert werden, hätten die Politiker deutlich überzogen.