Russlands Präsident Wladimir Putin polarisiert. Ein erheblicher Anteil der Deutschen zeigt Verständnis für sein aggressives Verhalten in der Ukraine-Krise. Das hat mit der emotionalen Beziehung zwischen den Ländern zu tun, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Russland hat sich völkerrechtswidrig die Krim einverleibt. Was nun mit der Ostukraine – mit dem ganzen zerfallenden Land gar – geschehen wird, ist offen. Moskau dürfte sich von der Genfer Vereinbarung nicht eingeschränkt sehen, wenn es darum geht, den früheren Einfluss wiederherzustellen. Offenkundig soll die Ukraine weiter destabilisiert werden. Dennoch hat der russische Präsident hierzulande erstaunlich viel Nachsicht für seinen Aggressionsakt geerntet. Die Putin-Versteher – so der neue Modebegriff – haben eine erhitzte Debatte über eine deutsche Sonderrolle ausgelöst. Zu finden sind sie nicht nur in der Linkspartei oder in der SPD, sondern quer durch die Bevölkerung.

 

Zu tun hat dies mit dem widersprüchlichen Verhältnis zwischen Deutschland und Russland: Einerseits verbindet die gemeinsame Geschichte – siehe Ostpreußen, siehe DDR. Andererseits haben beide Seiten sehr an der Feindschaft infolge der Weltkriege gelitten. Das 20. Jahrhundert hat tiefe Furchen gezogen – bis in die Familien hinein. Zugleich wird die emotionale Beziehung von Momenten der Übereinstimmung beflügelt: War es nicht der damalige sowjetische Machthaber Michail Gorbatschow, der Deutschland die Einheit beschert hat? Und hat nicht gerade ein von Kultur beseeltes Volk so viel übrig für den Reichtum an Schriftstellern und Komponisten auf der anderen Seite? Deutsche und Russen sind sich in vielem fremd und doch vertraut.

Imperialistisch und nationalistisch

Die Ukraine-Krise lässt die Nostalgiker genauso auf die Bühne treten wie die Russlandgegner. Beide Seiten tragen wenig dazu bei, Moskaus Sehnsucht nach dem verlorenen Großmachtstatus nüchtern einzuordnen. Wladimir Putin will ein eurasisches Imperium schaffen und glaubt offenbar, auf die Ukraine nicht verzichten zu können. Irritierenderweise beeindruckt sein imperialistischer Antrieb, das nationalistische Gehabe, der Kurs der Abschottung und die Einschränkung der Demokratie viele Deutsche weniger als Putins Klage über die Defensive, in die sich Russland von der EU und der Nato gedrängt sieht.

Rational ist dieses Denken nicht, weil es auch beeinflusst wird von einem latenten Antiamerikanismus in der Bevölkerung. Der Frust über den Partner USA, der seine Rolle als Weltpolizist etwa bei Drohnenangriffen missbraucht, dessen Geheimdienst sich über europäisches Recht hinwegsetzt und der keine Hochkultur mitbringt, dehnt sich aus. Demzufolge sieht laut ARD- „Deutschlandtrend“ jeder zweite Bürger die Bundesrepublik nicht im westlichen Bündnis verankert, sondern in einer mittleren Position zwischen Russland und dem Westen. Der Nato-Beschluss, militärisch gegenüber Moskau Zeichen zu setzen, wird mehrheitlich abgelehnt. Wenn die Allianz die Verbündeten im Baltikum und in Polen schon unterstützen wolle, so die vornehmliche Haltung, dann bitte ohne die Bundeswehr. Diesen Mangel an Solidarität kennt man aus anderen Konfliktlagen.

Alte Ängste werden wach

Freilich gibt es Signale, dass die Toleranz gegenüber Russland nicht grenzenlos ist. Eine aktuelle Umfrage des Allensbach-Instituts zeigt, dass Putins Ansehen hierzulande deutlich sinkt und dass drei von vier Bürgern das Verhältnis beider Länder als gestört betrachten. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit schwindet, und überwunden geglaubte Ängste werden wach.

Niemand will eine neue Eiszeit im Verhältnis zu Russland. Deshalb ist es eine Chance, wenn die Bundesregierung in der Ukraine-Krise vermittelnd und deeskalierend wirkt. Zugleich darf sie an ihrer Zugehörigkeit zu den westlichen Wertegemeinschaften keinerlei Zweifel aufkommen lassen. Eine Sonderrolle würde Deutschland eher schaden. Russen mögen keine Inkonsequenz, und als kühl denkender Stratege versteht Putin ohnehin die klare Ansage. Eine Sowohl-als-auch-Haltung könnte ihn eher dazu verleiten, Deutschland für seine Machtinteressen zu missbrauchen.