Die Industrienationen in Westeuropa fürchten um die guten Geschäfte ihrer Unternehmen mit Russland und scheuen daher harte Wirtschaftssanktionen. Diese Uneinigkeit macht die EU handlungsunfähig, meint StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Ihre Lust, die Strafmaßnahmen der Europäischen Union in der Ukraine-Krise zu verspotten, ist den Machthabern in Moskau mittlerweile vergangen. Boten die anfänglichen Reisebeschränkungen – gewissermaßen Sanktiönchen – noch allen Anlass zu einer humorigen Betrachtung, lösten die neuesten EU-Beschlüsse und die Aussicht auf zügige Verschärfungen im Kreml Besorgnis aus. Die scharfe Kritik daran sollte Europa eine Ermutigung sein, auf diesem Weg fortzufahren.

 

Der Absturz des malaysischen Flugzeugs MH17 hat die Sanktionsdebatte in Westeuropa enorm forciert. Gleichgültig, wie viel Schuld Russland beim Abschuss auf sich geladen hat – nunmehr ist die mit viel Unehrlichkeit verbundene Hinhaltetaktik von Präsident Wladimir Putin obsolet. Die Katastrophe treibt die Westeuropäer zum Handeln an. Seitdem wird aber auch überdeutlich, wie egoistisch die Industrienationen agieren. Im Prinzip treten sie alle für Sanktionen ein, aber stets so, dass die eigenen Pfründe unberührt bleiben.

Eine große Bewährungsprobe für die EU

Die Franzosen zum Beispiel wollen trotz des dringend notwendigen Waffenembargos unverdrossen Kriegsschiffe an die Russen liefern – eine echte Farce. Paris müsste das Projekt einfach nur auf Eis legen. Die Briten handeln am Finanzplatz London munter mit den Oligarchen, während die Deutschen die intensiven Geschäfte von Industrie und Mittelstand erhalten möchten. Argwöhnisch wird beobachtet, ob sich der Nachbar noch Vorteile in der Gunst der Russen verschaffen könnte. Völlig unabhängig vom Druck der Amerikaner, die monatelange Zögerlichkeit abzulegen und die vagen Drohungen zu konkretisieren: für die EU ist es die erste große Bewährungsprobe seit der Finanzkrise. Wenn am Ende Einzelinteressen die Oberhand behalten, wird die Union nie zur Geschlossenheit finden. Handlungsunfähigkeit wäre die Folge. Putin und andere Antidemokraten hätten künftig ein leichteres Spiel.