Die Politik hat die deutsche Autoindustrie im Ringen um strengere Grenzwerte bei Emissionen zu lange geschützt. Das rächt sich nun, kommentiert Werner Ludwig.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Auch in diesen unruhigen Zeiten gibt es Dinge, auf die man sich verlassen kann. Zum Beispiel auf die Unterstützung der deutschen Autoindustrie durch die Politik. Als hätte es den Dieselskandal nie gegeben, wehrt sich das Bundesverkehrsministerium offenbar weiter gegen schärfere Abgastests in der Europäischen Union. Dahinter steht die alte Angst, dass zu weit reichende Auflagen der PS-Branche schaden und Arbeitsplätze in diesem zentralen Bereich der deutschen Industrie bedrohen könnten.

 

Dabei sollte vieles von dem, was Brüssel vorschlägt, längst selbstverständlich sein. Dazu zählen etwa stichprobenartige Kontrollen an bereits zugelassenen Fahrzeugen. In der Gastronomie ist es seit jeher üblich, dass die amtlichen Lebensmittelkontrolleure auch mal im laufenden Betrieb vorbeischauen. Richtig ist auch der Plan, die Abgasprüfung neuer Automodelle unter staatliche Obhut zu stellen. Bisher werden die dafür nötigen Tests beim Tüv und anderen Organisationen von den Herstellern selbst bezahlt. Die Industrie braucht sich daher nicht zu wundern, dass nicht nur radikale Umweltschützer an der Unabhängigkeit dieser Prüfungen zweifeln.

Bremserei mit langer Tradition

Die Bremserei der Politik bei den gesetzlichen Auflagen für die Autoindustrie hat eine lange Tradition. Für die Bedenken der Hersteller hatten Bundesregierungen jeglicher Couleur schon immer ein offenes Ohr – und den Willen, in Brüssel möglichst industriefreundliche Regelungen durchzusetzen. Das zeigte sich etwa bei der Festlegung der EU-Obergrenzen für den Kohlendioxid-Ausstoß der Pkw-Flotte. Nur durch allerlei fragwürdige Rechentricks – etwa die Mehrfachwertung besonders klimafreundlicher Automodelle – war es überhaupt möglich, den derzeit gültigen Grenzwert von 120 Gramm CO2 pro Kilometer zu erreichen. Allerdings lediglich auf dem Papier, denn maßgeblich sind bislang nur die Werte, die unter praxisfremden Laborbedingungen ermittelt werden.

Die Minderung des CO2-Ausstoßes war auch das Hauptargument für den steigenden Anteil von Diesel-Pkw. Das Thema Stickoxide rückte dabei lange Zeit in den Hintergrund – mit gravierenden Folgen nicht nur für VW. Wie weit selbst etliche der angeblich so sauberen Euro-6-Diesel bei den Stickoxid-Emissionen über die zulässigen Werte hinausschießen, zeigen aktuelle Messungen des Umweltbundesamtes. Auf der anderen Seite gibt es unabhängigen Untersuchungen zufolge aber auch Modelle, die die gesetzlichen Grenzen einhalten. Es ist also durchaus möglich, regelkonforme Fahrzeuge zu bauen.

Lobbyarbeit hat mehr geschadet als geholfen

Das Interesse deutscher Politiker am Wohlergehen eines der wichtigsten Wirtschaftszweige ist absolut nachvollziehbar. Allerdings spricht einiges dafür, dass die Lobbyarbeit der Volksvertreter für die Autoindustrie und das konsequente Wegschauen bei Regelverstößen der Branche auf längere Sicht mehr geschadet als geholfen haben. Denn der Rückstand der hiesigen Hersteller auf dem Feld alternativer Antriebe hängt auch damit zusammen, dass sich die Autobauer zu lange auf etablierte Technologien konzentriert haben. Damit ließ sich bislang zwar gutes Geld verdienen, doch für die Zukunft ist das keine Erfolgsgarantie.

Manche warnen bereits vor dem drohenden Niedergang des Autostandorts Deutschland. Doch in der Vergangenheit hat die Branche mehrfach gezeigt, dass sie durchaus auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren kann – etwa bei der Einführung des Katalysators oder des Diesel-Partikelfilters. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Politik klare Vorgaben macht und auch auf deren Einhaltung pocht. Die Einführung realitätsnäherer Verbrauchs- und Emissionsmessungen ist hier sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Genauso wichtig sind aber unabhängige Kontrollen und Sanktionen bei Verstößen.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.diesel-fahrverbot-in-stuttgart-land-informiert-ueber-luftreinhalteplan.97b7ea65-5ee5-4aae-b164-5d80fa67f527.html

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.technik-lassen-sich-alte-diesel-nachruesten.e8633dd1-de7b-444d-b9ed-8b3a6da45551.html

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.luftschadstoffe-in-stuttgart-stickoxide-ruecken-staerker-in-den-fokus.9003d9a9-e1bd-41ce-8b0a-5de0b810b552.html