Die Diskussion über die Fildertrasse bei Stuttgart 21 eignet sich nicht für ein neues Mitsprachemodell, befindet der StZ-Redakteur Hoger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Ohne Zweifel hatte der Publizist Kurt Tucholsky einst wichtigere Themen zu behandeln als etwa den Verlauf irgendwelcher Eisenbahngleise auf den Fildern. Nun aber, da mit dem Filderdialog zu Stuttgart 21 das erste große Bürgerbeteiligungsprojekt der grün-roten Landesregierung seit dem S-21-Volksentscheid zu scheitern droht, gelangt ein Kernsatz Tucholskys zu unerwarteter Aktualität. Er lautet: „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“

 

Gut gemeint war der Filderdialog in der Tat: betroffene Bürger sollten mitreden dürfen über eine verbesserungswürdige Planung, deren Auswirkungen sie direkt zu spüren bekommen hätten. Das Diskussionsforum mit den oft beschworenen Frauen und Männern aus dem einfachen Volk sollte ein Modell werden, mit dem die Regierung Kretschmann eine neue Art des Gehörtwerdens in das über die Jahre erstarrte Politikwesen in Baden-Württemberg implantieren wollte. Doch nun ist dieses Experiment in einer Art in die Binsen gegangen, die elementare Fragen aufwirft.

Serie von Fehleinschätzungen

Die Gründe für die missliche Lage sind vielschichtig. Zunächst hat man selten eine solche Aneinanderreihung von Fehleinschätzungen und handwerklichen Fehlern gesehen wie bei den Vorbereitungen zum Filderdialog. Das gewählte Mediationsverfahren erinnerte bisweilen an basisdemokratische Jugendhauszeiten, in denen Konflikte mit Vanilletee und Räucherstäbchen gelöst wurden. Stattfinden sollte die Debatte in einer viel zu großen Gruppe, von der die eine Hälfte sich seit Jahren mit allen Details des Themas beschäftigt hat, die andere Hälfte aber erst vor wenigen Tagen erfuhr, dass sie auch dabei sein soll. Das konnte nicht funktionieren.

Noch schwerer als die handwerklichen Mängel wiegt aber der Konstruktionsfehler des Filderdialogs. Das Thema Stuttgart 21 ist schlichtweg nicht mehr geeignet für eine grundsätzlich ergebnisoffene Diskussion mit allen Bürgern. Warum? Ganz einfach: weil das Ergebnis nicht mehr offen sein kann. Die Entscheidung für das Projekt ist gefallen; in der Planung ist auch eine Trasse auf den Fildern enthalten, die zwar noch nicht final genehmigt ist, aber auch nicht mehr ganz neu erfunden werden kann.

Die Ideale halten der Realität nicht stand

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass nur wenige einfache Bürger bereit sind, sich am Austüfteln komplexer Details zu beteiligen. Man mag das bedauern, weil Begriffe wie Teilhabe, Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie gerade nach der Eskalation von Stuttgart 21 gut klingen. Der Realität halten die Ideale aber nicht stand. Es ist noch verhältnismäßig leicht, sich gegen ein Projekt zu engagieren, weil man dazu „nur“ auf die Straße gehen muss. Wird aber die konstruktive Kraft zur Gestaltung gefordert, kostet das Zeit und Energie. Beides haben viele Bürger nicht, die in Beruf, Familie und Ehrenamt engagiert sind; zu S 21 haben sie ihre Meinung beim Volksentscheid kundgetan – das reicht ihnen.

Umso unverständlicher ist, dass die Verantwortlichen – Staatsrätin Gisela Erler und Moderator Ludwig Weitz – immer noch an ihrem Verfahren festhalten wollen. Denn es gibt ja eine große Gruppe von Personen, die Interesse am Filderdialog hat: die von den Bürgern gewählten Kommunalpolitiker. Bei der Besetzung der wenigen für sie vorgesehenen Plätze in der Diskussionsrunde gab es ein Gedränge wie im Schlussspurt einer Tour-de-France-Etappe. Weitz und Erler aber wollten für ihre Mannschaft nicht die Leute nominieren, die in der Spitzengruppe ins Ziel kamen, sondern die Zuschauer am Wegesrand. Die Quittung haben sie jetzt bekommen. Eine Diskussion über Trassenalternativen auf den Fildern wird allenfalls als Faktencheck nach Art der Geißler-Schlichtung funktionieren. Als Modell für eine neue und wünschenswerte Form von Bürgerbeteiligung ist dieses Thema ungeeignet.