Das Projekt Stuttgart 21 nimmt wieder Fahrt auf. Der Nächste Halt heißt Stresstest. Ein Kommentar von StZ-Redakteur Holger Gayer.  

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Die Bahn baut also weiter. Aber sie tut es mit begrenztem Tempo; sie wird in der nächsten Woche nicht mit Baggern durch den Schlossgarten pflügen, sie wird in absehbarer Zeit keine Abrissbirne in den Südflügel des Hauptbahnhofs donnern lassen, sie wird keine unumkehrbaren Fakten schaffen. Das ist eine der guten Nachrichten, die am Freitag nach der Sitzung des Lenkungskreises zu Stuttgart 21 aus der Villa Reitzenstein zu hören waren. Die Bahn nimmt zwar ihr vertraglich gesichertes Recht auf den Bau des umstrittenen Tiefbahnhofs wahr, akzeptiert aber gleichzeitig, dass sie noch mindestens eine Hürde bis zum wirklichen Weiterbau überwinden muss: den Stresstest. Dessen Ergebnisse werden Mitte Juli präsentiert und bewertet. Ob danach noch ein Volksentscheid notwendig ist, wird sich zeigen.

 

Mit dieser Haltung signalisiert Bahn-Chef Grube sowohl den Befürwortern als auch den Gegnern des Projekts, dass er sich von der grün-roten Landesregierung nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten lässt. Er tut das aber nicht im Stile eines Napoleons, der nun seine Truppen schickt und dadurch heftige Gegenwehr provoziert. Vielmehr besinnt sich Grube wieder auf seine Rolle als kommunikativer Geschäftsmann: Er weiß, was er will, und er weiß, dass er sein Ziel nur mit überzeugenden Fakten erreichen kann.

Die andere gute Nachricht kommt von der neuen Landesregierung. Sie hat sich am Freitag ganz klar zur Rechtsstaatlichkeit ihres Handelns bekannt. Grün-Rot wird keine Verhinderungstaktik auf Teufel komm raus auflegen, sondern sich an den Buchstaben von Verträgen und Gesetzen orientieren. Diese Einstellung hat das Kabinett Kretschmann dazu veranlasst, keinen Baustopp zu beantragen - und zwar vor allem deswegen, weil es die Kosten eines solchen Antrags nicht seriös abschätzen konnte.

Die aktuelle Form des Streits heißt: Dialog

Das ist im Sinne der Treuepflicht einer Exekutive, die für die verantwortungsvolle Verwendung von Steuergeldern zu sorgen hat, der einzig konsequente Schritt, den sie tun kann. Gleichzeitig hat die Landesregierung keinen Zweifel daran gelassen, dass sie jede Zahl, jeden Plan und jeden Entwurf der Bahn auf Herz und Nieren prüfen wird. Kretschmann wird ein wesentlich härterer Verhandlungspartner für den Geschäftsmann Grube werden, als das seine christdemokratischen Vorgänger Mappus oder Oettinger waren. Das ist in Anbetracht von Investitionssummen von bis zu 4,5 Milliarden Euro - oder gar noch mehr, wie Bahn-Technikvorstand Volker Kefer dieser Tage kundtat - auch dringend notwendig. Eine Politik im Hinterzimmer wird es mit Grün-Rot nicht geben; das ist das Zeichen, das Kretschmann sendet - sowohl an die Bahn als auch an die eigenen Anhänger.

Zu hoffen ist nun, dass in den kommenden Wochen eine dritte gute Nachricht aus Stuttgart die Runde macht: dass Befürworter und Gegner des Bahnprojekts aus der neuen Art der sachlichen Auseinandersetzung lernen und jetzt weder in Jubelgeheul noch in Kriegsgeschrei ausbrechen. Aussagen von CDU-Granden und Vertretern der Parkschützer lassen zwar darauf schließen, dass es noch eine Weile dauern wird, ehe sich diese Hoffnung erfüllen kann. Ministerpräsident Kretschmann lebt aber auch in dieser Hinsicht eine neue Haltung vor.

Er setzt auf das direkte Gespräch des Volkes mit den Regierenden; als erster baden-württembergischer Ministerpräsident hat er sich auf dem Stuttgarter Marktplatz den Fragen seiner Bürger gestellt. So eine Art Politik zu machen ist zwar anstrengend, aber auch Vertrauen erweckend.

Deswegen wäre es ein verheerendes Zeichen, wenn sich in Sachen Stuttgart 21 jetzt wieder beide Konfliktparteien auf ihre ideologischen Positionen zurückzögen und auf die neuen Formen des politischen Dialogs ausschließlich mit den Mitteln von gestern reagierten. Die aktuelle Form des Streits heißt: Dialog.