Bei Stuttgart 21 steckt der Karren tief im Dreck. Um ihn wieder flott zu machen, müssen sich die Projektpartner bewegen und ihre Blockadehaltung aufgeben, meint der StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Sollte eine Bauherrengemeinschaft, die sich schon beim Gießen der Fundamente über Ausführung und Kosten streitet und ihre Anwälte einschaltet, ihr gemeinsames Haus zu Ende bauen? Eher nicht. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Konflikt im weiteren Bauverlauf eskaliert, die Gerichte beschäftigt und ein Gebäude entsteht, das so niemand gewollt hat. Im schlimmsten Fall droht den Investoren sogar eine Bauruine.

 

Und bei Stuttgart 21? Die Bahn als Bauherr versucht nun, die Projektpartner an den ausufernden Kosten für den Tiefbahnhof zu beteiligen – zunächst vergeblich, wie sich am Montag und Dienstag nach den Gesprächen mit Land, Stadt und Region gezeigt hat. Einzig die Region zeigt Gesprächsbereitschaft. Dass es zu dieser Art von Schaulaufen überhaupt kommt, ist die Folge der höchst fahrlässigen „Sprechklausel“ in der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21. Einen solchen Passus kann nur unterzeichnen, wer überzeugt ist, dass alle Projektpartner auf ewig für den Tiefbahnhof eintreten.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Stadt und Land hüten sich zwar, den Ausstieg zu forcieren, verweigern der Bahn aber nach den Machtwechseln der vergangenen Zeit ein weiteres Entgegenkommen. Auch beim Bund und selbst bei der Bahn gibt es Signale für eine Absetzbewegung.

Kein Stuttgart 21 ist auch keine Lösung

Nun ist es nicht etwa so, dass es keine Gründe für einen Ausstieg oder zumindest eine intensive Diskussion darüber gibt. Doch die Situation ist unter anderem deshalb so verfahren, weil auch die Alternativen nicht überzeugen. Kein Stuttgart 21 ist auch keine Lösung.

Strittig sind die Kosten eines Ausstiegs, die von Projektbefürwortern hoch- und von -gegnern heruntergerechnet werden. Strittig sind auch die Kosten möglicher Alternativplanungen. Auch bei K 21 oder dem Geißler’schen Kombibahnhof wird wie weiland bei Stuttgart 21 mit politischen Preisen agiert, auch hier schlagen Inflation, sich verändernde Gesetze, langwierige Planungsverfahren und „behördlicher Schwergang“ zu Buche. Ohne in die Kaffeesatzleserei einsteigen zu wollen: zu den im Raum stehenden Preisen werden auch die diskutierten Alternativen sicher nicht zu haben sein. Und außerdem: auch für eine andere Lösung als Stuttgart 21 wäre der Bauherr zuständig, dem gerade in Stuttgart gar nichts mehr zugetraut wird – die Deutsche Bahn.

Zudem ist am gegenwärtigen Baufortschritt nach 15 Jahren Planungszeit absehbar, dass ein Ausstieg viele Jahre des Stillstands nach sich ziehen würde, in denen einerseits die Gerichte mit den Kosten der Stuttgart-21-Abwicklung beschäftigt wären und andererseits alternativ geplant würde – Ausgang offen, Umsetzung auch.

Den größten Nutzen haben Stadt, Land und Flughafen

Paradox am gegenwärtigen Schlamassel ist, dass Bund und Bahn – diejenigen, die am meisten für Stuttgart 21 zahlen – am ehesten auf den Tiefbahnhof verzichten könnten. Der Bund hat außer dem internationalen Nachweis, dass Deutschland auch Großprojekte umsetzen kann, kein originäres Interesse am Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Bahn ist vor allem an der Neubaustrecke nach Ulm und einer Anbindung an den (nicht notwendigerweise unterirdischen) Hauptbahnhof interessiert. Den größten Nutzen von Stuttgart 21 haben die Stadt, der Flughafen und – als Haupteigentümer des Flughafens – auch das Land. Bei einem Ausstieg bliebe der Flughafen vom Fernverkehr abgekoppelt. Stuttgart würde kein neues Stadtviertel erhalten und müsste über viele weitere Jahre mit einem maroden Hauptbahnhof und ungewissen Perspektiven leben.

Nach dem Motto „Wer zuerst zuckt, verliert“ haben sich die Projektpartner in ihren Positionen eingegraben. Doch der im Dreck steckende Karren wird so nicht wieder flott – dazu ist Bewegung und Kompromissbereitschaft erforderlich – bei allen.