Die Landeshauptstadt Stuttgart hat sich lange aufs Sparen konzentriert und ihre Infrastruktur dabei vernachlässigt. Das rächt sich nun, meint der StZ-Redakteur Jörg Nauke mit Blick auf die aktuellen Haushaltsberatungen.

Stuttgart - Anders als in der Fußball-Bundesliga findet man Stuttgart in den Ranglisten der reichsten deutschen Städte im ersten Drittel. Republikweit wird Stuttgart beneidet, weil der Stadtkämmerer nach Jahren der Konsolidierung einen fast schuldenfreien Kernhaushalt präsentieren kann. Doch die positive Bilanz hat auch eine Kehrseite: Sie weckt Begehrlichkeiten bei den Bürgern und bei manchen Stadträten. Diese glauben, dass für alles und jedes ausreichend Geld zur Verfügung stünde, ignorieren aber die Folgebelastungen ihres Tuns. Von dieser Erwartungshaltung werden auch die jetzt begonnenen Haushaltsberatungen geprägt sein. Im Mai 2014 sind Kommunalwahlen – und die Verteilung von Geschenken gilt bekanntlich als taugliches Hilfsmittel beim Stimmenfang.

 

Um einer Antragsflut vorzubeugen, aber auch weil er Schwerpunkte bei Bildung, Wohnen, Umwelt und nachhaltiger Mobilität setzen will, hat Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der dem Gemeinderat relativ wenig Spielraum lässt. Aber auch die Verwaltung ist fremdbestimmt: Steigende Soziallasten müssen geschultert werden, die Kostenexplosionen bei den Staatstheatern wirken in den städtischen Etat hinein, die Neugliederung der Schulsysteme und das gesetzlich verbriefte Recht auf einen Kitaplatz erfordern Neubauten und Stellenschaffungen in nie da gewesenem Ausmaß.

Hausgemachte Probleme

Stuttgart – eine reiche Stadt? Man sollte sich eher an der These des Kämmerers Michael Föll (CDU) orientieren, der Stuttgart als „weniger arm“ bezeichnet, weil man im Gegensatz zu vielen anderen Kommunen noch „nicht in Schulden schwimmt“. Föll verwaltet ein Anlagevermögen von acht Milliarden Euro. Jedem Stuttgarter gehören rechnerisch Straßen, Parkanlagen und Grundstücke in einem Wert von 13 000 Euro. Doch die Handlungsfähigkeit einer Stadt ist abhängig von ihrer Liquidität. Dass diese verhältnismäßig gering ist, bereitet den Verantwortlichen große Sorgen.

Ein Problem ist hausgemacht: Manfred Rommel und Wolfgang Schuster (beide CDU) haben 20 Jahre lang einen harten Sparkurs gefahren. Die Schulden wurden um mehr als eine Milliarde Euro reduziert, gleichzeitig hat man investiert – in Prestigeprojekte wie das Kunstmuseum und die Bibliothek. Ein Stadtmuseum wurde auf den Weg gebracht, der Rosensteintunnel finanziert und unterm Strich mehr als eine Milliarde Euro für Stuttgart 21 reserviert. Darüber hat die Politik allerdings die Pflege der vorhandenen Infrastruktur – Straßen, Schulen, Bäder – sträflich vernachlässigt. Das rächt sich jetzt.

Die Gewerbesteuer entwickelt sich negativ

OB Kuhn muss sich deshalb in seiner einzigen Amtszeit mit der unspektakulären Rolle des Stadtsanierers begnügen. Die Finanzplanung bis 2018 ist mit Sanierungsmaßnahmen im dreistelligen Millionenbereich belastet. Einen schmerzlichen Nachholbedarf gibt es auch beim Personal – und das bei einer risikobehafteten Ertragslage, denn Stuttgart ist keine Insel. Das bekam die Stadt bei der Bankenkrise zu spüren. 300 Millionen Euro gingen durch die LBBW-Beteiligung verloren. Die Schuldenbremsen in Bundes- und Landeshaushalt werden die Kommunen zudem belasten.

Stuttgart verfügt zwar durch seine Wirtschaftsstruktur über eine hohe Steuerkraft, aber der größte Posten, die Gewerbesteuer, entwickelt sich negativ, auch weil Unternehmen wie Porsche und Allianz Wege finden, vor Ort Steuern zu sparen. Zudem macht sich der gewerbliche Mittelstand rar. Er erliegt oft den Verlockungen der Nachbargemeinden, die größere Flächen und geringere Gewerbesteuersätze anbieten. Dazu fordert die Wirtschaft Steuersenkungen und Schuldenverzicht. Das ist ein eklatanter Widerspruch. Vor dem Hintergrund, dass bei sinkenden Einnahmen kräftig saniert und investiert werden muss, wird der Stadt also nahezu die Quadratur des Kreises abverlangt.