Weihnachtsmärkte werden gestürmt, Plätzchen gebacken, Karten verschickt, Wohnungen geschmückt und Geschenke besorgt. Liegt da nicht auf der Hand, dass Kitsch, Kommerz und Stress die christliche Botschaft an den Rand drängen? Ein Kommentar von StZ-Redakteur Michael Trauthig.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Die Dramaturgie des Festes ist, gelinde gesagt, schwierig. Bevor es überhaupt begonnen hat, scheint das Meiste schon vorbei und das Volk erschöpft von einem einmaligen Mammutprogramm zuvor: Weihnachtsmärkte werden gestürmt, massenhaft Weihnachtsfeiern und -Konzerte inszeniert, Plätzchen gebacken, Karten verschickt, Häuser und Wohnungen geschmückt, Geschenke besorgt und so die Renditen des Einzel- oder Versandhandels gesichert. Liegt da nicht auf der Hand, dass Kitsch, Kommerz und Stress die christliche Botschaft an den Rand drängen? Kann Weihnachten noch mehr sein, als ein großes, austauschbares Event in einer erlebnishungrigen Gesellschaft?

 

Die Antwort lautet, wie so oft im Leben: es kommt darauf an. Darauf, ob jeder Einzelne es schafft, die gesteigerte Unruhe in den Vorfesttagen vor allem als Ausdruck einer gespannten Erwartung auf den nun folgenden Höhepunkt der Heiligen Nacht zu verstehen. Darauf, ob die Hektik heute der Stille weicht, die die Konzentration auf das Wesentliche erlaubt. Und darauf, ob die aktuellen Begleiterscheinungen des Christfestes zwangsläufig Verflachung bedeuten oder ob sie auch als Form neuzeitlicher Religiosität zu schätzen sind.

Das Weihnachtsfest war nie eine rein christliche Angelegenheit

Für die positive Sicht gibt es gute Gründe. Zum einen war das Fest schon von seinem Ursprung her nie eine rein christliche Angelegenheit, sondern stets offen für die Aufnahme fremder Traditionen. Das zeigt bereits der Termin der Feier, der kaum zufällig einst im vierten Jahrhundert auf den Geburtstag des römischen Gottes sol invictus gelegt wurde. Zum anderen erinnern viele Gewohnheiten, wenn auch versteckt, an zentrale Glaubensinhalte.

Die Bescherung etwa steht ja nicht nur für Konsumterror und Materialismus. Sie kann auch eine Geisteshaltung ausdrücken, die das alltägliche Rentabilitätsdenken sprengt und so mit Jesus Aufruf zur Nächstenliebe korrespondiert. Ebenso steht es mit der modernen und zuweilen konfliktbeladenen Tradition, das Fest als Familienfeier zu begehen. Sicher wollen die meisten in der Gemeinschaft Geborgenheit und Halt finden. Das entspricht zunächst einem zutiefst menschlichen Bedürfnis. Doch diese Übung kann auch Hinweis sein auf den Gott der Liebe, der Beziehungen stiftet und sich in der Weihnachtsgeschichte zeigt. Es kommt eben auf die Perspektive an.

Glaube ist nicht nur eine Sache des Verstandes

Nüchterne Naturen tun eine solche Sichtweise als naiv ab. Aber auch sie müssen zugeben, dass an Weihnachten das Bedürfnis wächst, Antworten auf die existenziellen Fragen des Lebens zu bekommen. Deshalb pilgern in die Gottesdienste die Massen, die man sonst in den Kirchen nicht sieht. Zwar spielt dabei die Gewohnheit eine Rolle und der Wunsch, Kindheitserinnerungen wieder zu beleben oder die Familienfeier religiös zu verzieren. Doch das reicht als Erklärung nicht. Die spezielle Atmosphäre des Festes kommt hinzu. Viele Menschen spüren wohl, dass diese Welt nicht alles ist, nicht alles sein darf. Sie sind – vielleicht nur einmal im Jahr – offen für das Geheimnis des Glaubens, das die Weihnachtsgeschichte erzählt: Die Botschaft vom Kind in der Krippe spendet Kraft und Trost, mahnt aber auch einen Neustart an.

Wenn ein armes, obdachloses Baby, das laut Bibel bald zum Flüchtling wird, Gottes Sohn ist, dann solidarisiert sich der Herr der Himmel mit seiner Schöpfung, dann werden aber auch die brutalen Maßstäbe der Welt zurechtgerückt. Nicht den Leistungsstarken, Reichen und Mächtigen gehört die Zukunft, sondern allen, die sich für Liebe, Frieden und gerechte Strukturen engagieren. Elend und Tod haben nicht das letzte Wort, lautet die Verheißung. Für Skeptiker ist das nur fauler Zauber und Illusion. Und für aufgeklärte Zeitgenossen ist die Botschaft ja wirklich eine Zumutung. Doch der Glaube ist nicht nur eine Sache des Verstandes. An Weihnachten hat er die Chance, auch die Herzen zu erreichen.