Deutschland brauche mehr Gründergeist und eine andere Aktienkultur, heißt es gerne in Sonntagsreden. Die Börsengänge von Zalando und Rocket Internet erfüllen diese Wünsche, kommentiert der StZ-Redakteur Andreas Geldner.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - In Sonntagsreden von Politikern und Ökonomen wird gerne der dringend nötige Aufbruch beschworen. Deutschland brauche mehr Gründergeist, heißt es. Auf dem Zukunftsmarkt Internet fehlten die Leuchttürme. Es brauche kantige Unternehmerpersönlichkeiten, die Ideen anzutreiben wissen. Und überhaupt liege die Aktienkultur und das Reservoir für Risikokapital hierzulande brach. Bitteschön! Gleich an zwei Tagen hintereinander gibt es nun Börsengänge von Firmen, welche die Kriterien erfüllen. Zalando, der Online-Händler für Schuhe und Mode, und mehr noch die Start-up-Schmiede Rocket Internet schreiben für Deutschland bisher ungewöhnliche Firmengeschichten. Angeschoben wurden sie von den Samwer-Brüdern, aggressiven Entrepreneuren, wie sie eher in das Silicon Valley passen als in ein Land, das stolz darauf ist, dass hier solide Autos und Maschinen produziert werden.

 

Doch an den kantigen Samwers macht sich jede Menge Skepsis fest, die Zalando und Rocket Internet von Anfang an begleitet hat – während internationale Investoren in aller Stille zugriffen. Die Kritik betrifft nicht nur die vagen Aussichten auf nachhaltige Gewinne. Nein, skeptisch beäugt wird das gesamte Konzept, das hinter den Firmen steht. Sie gelten als simple Kopien von Ideen, die anderswo, vor allem in den USA, entwickelt wurden. Bemängelt werden eine Ausbeuterkultur und ein rüder Umgang mit Mitarbeitern, während die Samwers angeblich Kasse machen, bevor ihre Turbo-Klone solide dastehen; bei Zalando gehören ihnen jetzt noch 15 Prozent.

Jagd nach der nächsten großen Story

Es ist kein Zufall, dass der Börsengang von Zalando dem von Rocket Internet direkt vorangeht. Der Online-Versender, der mit Abstand das größte Unternehmen ist, das aus dem Berliner Start-up-Stall hervorgegangen ist, dient als Aushängeschild für das eher diffuse Konglomerat Rocket Internet. Was das Interesse angeht, können sich die Initiatoren des Börsengangs nicht beklagen. Wenn Zalando angeblich so viel wert ist wie die Lufthansa, dann ist das schon abenteuerlich. Da spielt die Jagd nach der nächsten großen Story eine Rolle. Zudem sind die Aktienmärkte durch die lockere Geldpolitik gedopt, was die Eile der Börsengänge erklärt.

Kleinanleger sollten die neuen Aktien mit sehr spitzen Fingern anfassen. Einige Erstinvestoren spekulieren wohl darauf, dass die Story von Zalando und Rocket Internet gerade noch lange genug funktioniert, bis sie ihre Anteilsscheine profitabel weitergereicht haben. Dieses Spiel ist riskant, wie der Börsengang von Facebook gezeigt hat. Nur nach einer tiefen Delle konnten die Erstzeichner Kursgewinne verbuchen. Und Facebook ist immerhin ein Unternehmen, das ein wichtiges Segment im Netz dominiert. Von Zalando und anderen Firmen aus dem Bauchladen von Rocket Internet kann man das nicht behaupten. Bei Zalando haben die Eigentümer immerhin darauf verzichtet, den Ausgabekurs auf die Spitze zu treiben – und sie halten weiter ihre Unternehmensanteile.

Dennoch sollte man an den eingangs beschriebenen Wunschzettel zum Innovationsstandort Deutschland erinnern. Zalando oder Rocket Internet können weder die deutsche Internetwirtschaft noch die Aktienkultur retten. Wer sie so überhöht, riskiert einen Kater. Beide Börsenneulinge versuchen aber, die Start-up-Kultur der USA mit deutschen Tugenden zu verknüpfen. Das Schlüsselwort heißt im Gründerjargon „execution“, also die Art und Weise, wie vorhandene Ideen umgesetzt werden. Rocket Internet hat Berlin mit auf die Landkarte der europäischen Start-up-Kultur gebracht und geht zudem auf Märkte, auf die sich bisher kaum jemand gewagt hat – ob sie nun Nigeria heißen oder Vietnam. Das kann schiefgehen. Wem aber der Internetstandort Deutschland am Herzen liegt, sollte den Börsengängen ohne Miesepetrigkeit langfristig den Erfolg wünschen.