Die Energiewende umzusetzen ist jetzt die größere Aufgabe. Die Bürger müssen mit Unbequemlichkeiten rechnen. Ein Kommentar von Bärbel Krauß.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Wer die Bundestagsdebatte über den Atomausstieg verfolgt hat, hätte leicht überhören können, dass es erstmals in der Geschichte der Kernenergie in Deutschland einen Konsens über das Aus für die Atomkraft in dieser Republik gibt. Das ist vor allem Umweltminister Röttgen anzukreiden, der so darauf erpicht war, das Ende der Kernkraft als schwarz-gelben Erfolg zu reklamieren, dass er den Anteil, den Rot-Grün und die Anti-Atom-Bewegung daran haben, unter den Tisch fallen ließ. Das war nicht nur stillos und unhistorisch, sondern auch eine Steilvorlage für den SPD-Chef Gabriel. Der ließ es sich nicht nehmen, die Kehrtwende von der Laufzeitverlängerung zum Abschaltgesetz als Waterloo der Kanzlerin zu geißeln.

 

Die Aggressivität der Debatte überdeckte die Einigkeit in der Sache, die tatsächlich einen historischen Einschnitt markiert. Zwar steht das Ja des Bundesrats noch aus, doch das ist nur eine Formalie. Das Ende der Kernenergie in Deutschland ist mit der Entscheidung im Bundestag wirklich besiegelt. Damit hat sich durchgesetzt, was sich in vielen Umfragen über die Jahrzehnte hinweg als Mehrheitswillen der Bürger erwiesen hat: Der Wunsch nach einer Energieversorgung ohne Atomkraft. Dass es so ist, müssen von Freitag an auch die Befürworter dieser Art der Stromproduktion anerkennen.

Deutschland ist Pionier auf schwierigem Gelände

Damit beginnt eine neue Zeit, und eines ist schon jetzt klar: Leicht werden die nächsten zwanzig Jahre nicht. Die Umstellung der Energieversorgung ist eine Herkulesaufgabe, bei der über kurz oder lang jeder Bürger merken wird, dass sie das ganze Land angeht. Glücklicherweise hat niemand blühende Energielandschaften voller Windräder und Sonnenkollektoren im Handumdrehen versprochen, obgleich die Forderungen mancher Experten und Ökolobbyisten nach einer noch rascheren Energiewende durchaus daran erinnern. Es hat aber auch niemand eine Schweiß-und-Tränen-Rede gehalten, obwohl der Umbau des Energiesystems mit der Herausforderung der Infrastrukturanpassungen in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung vergleichbar ist. Und nicht zu vergessen: Wie das mit den Offshorewindparks, dem Netzausbau oder der Umstellung der Versorgung auf die volatilen Energieformen genau geht, darüber gibt es zwar viele und auch fundierte Annahmen. Aber es gibt weder bewährte Modelle noch praktische Erfahrungen, auf die man zurückgreifen könnte.

Mit der Energiewende begibt sich die Bundesrepublik auf neues Terrain. Sie ist in der Rolle des Pioniers, und das Gelände ist schwierig. Darüber sollte sich niemand täuschen. Auch wenn jetzt Volkes Mehrheitswille umgesetzt wird und es in der Hauptfrage einen politischen Konsens gibt, werden die nächsten Jahre anstrengend. Manche von den energiepolitischen Instrumenten, die am Freitag mit dem Gesetzespaket beschlossen wurden, werden sich als stumpf oder sogar falsch erweisen. Die Politik wird sich oft über Einzelheiten streiten. Bürger und Unternehmen werden über hoffentlich nur in Maßen steigende Strompreise klagen. Verbraucher werden sich anstrengen müssen, den Strom sparenden Ökokühlschrank und die effiziente Heizung zu finanzieren. Anwohner werden über ihren Schatten springen müssen, weil Windräder oder Leitungsmasten nebenan gebaut werden.

Die Bürger sitzen nicht auf der Zuschauerbank. Sie müssen mitmachen, Unbequemlichkeiten und Kosten in Kauf nehmen. Dass die Politik Fehler machen wird und sich immer wieder korrigieren muss, ist fast unvermeidbar. Aber etwas Besseres als die Methode von Versuch und Irrtum für die Umsetzung der Energiewende gibt es nicht. Wenn es der Regierung und ihren Nachfolgern gelingt, Stromausfälle zu vermeiden, den Preisanstieg in Grenzen zu halten und nicht mehr fossile Brückenkraftwerke zu bauen als wirklich nötig, sind die wichtigsten Weichen richtig gestellt.