Die Energiewende ist eine Herkulesaufgabe und gelingt nur, wenn die Bürger auch mitmachen, meint StZ-Redakteurin Bärbel Krauß.      

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart  - Vor Wochen hätte man noch nicht vorherzusagen gewagt, dass in Deutschland eine so große Koalition für einen früheren Ausstieg aus der Kernenergie möglich wäre. Nicht nur die Parteien und eine große Mehrheit der Bürger sind sich weitgehend einig. Darüber hinaus gab es auch bei den Wirtschaftsverbänden erstaunliche Bewegungen hin auf den neuen Kurs der Regierung Merkel. Allerdings sei die Wette gewagt, dass es bei den derzeitigen Verhältnissen nicht bleiben wird.

 

So wie sich im Herbst die Atomkraftbefürworter mit Laufzeitverlängerungswünschen um fünfzehn, zwanzig oder vierzig Jahre überboten haben, gibt es gegenwärtig einen Wettstreit der atomkritischen Institutionen um das frühestmögliche Ausstiegsdatum. 2015, 2017, 2020 sind im Angebot -spätere Daten gelten im Augenblick als gar nicht opportun. Aber auch wenn die meisten dieser Jahreszahlen keineswegs aus der Luft gegriffen, sondern mit soliden Berechnungen untermauert sind, handelt es sich doch nur um Zahlen aus dem Labor.

Entschieden werden muss der Atomausstieg im Maschinenraum der Politik. Da klopfen die wichtigsten Akteure aus Bund und Ländern heute zum ersten Mal ihre Positionen ab. Immerhin liegt das ganze Problempaket beim Gespräch der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten auf dem Tisch: Der Atomausstieg soll schnell kommen, er soll aber das Klima nicht belasten, keinen Bürger, keinen Betrieb und auch den Staat nicht finanziell überfordern.

Eine Herkulesaufgabe für die Politik

Die Energieimporte sollen dabei möglichst nicht wachsen, und die Stromversorgung soll sicher und verlässlich bleiben. Das erfordert viele Kilometer neue Netze, neue Stromspeicher, neue Kraftwerke, neue Windräder, viele neue Genehmigungsverfahren und sehr viel politische Kraft und guten Willen auf allen Seiten.

All diesen Anliegen gerecht zu werden wird schwer, zumal es sich um existenzielle Notwendigkeiten handelt. Und wenn die Politik von jetzt an um Einzelfragen streitet, dann ist das kein Zeichen mangelnder Entschlossenheit oder falscher Moral, sondern der einzige Weg, um der Energiewende näher zu kommen. Das Wort von der Herkulesaufgabe ist nicht übertrieben. Der von allen Seiten erwünschte gesellschaftliche und politische Konsens über den Weg zum Atomausstieg kann nicht am Anfang, sondern erst am Ende des Prozesses stehen.

Gleichwohl wird sich wahrscheinlich schnell zeigen, dass die ganz große Koalition für den Atomausstieg keine besonders verlässliche Werte- und Projektgemeinschaft ist. Zu denken gibt es jedenfalls schon, dass die aktuell ziemlich leise gewordenen Befürworter der Kernenergie ihre geheimen Hoffnungen ausgerechnet auf ein künftiges Bündnis mit den Wutbürgern setzen.

Ohne den Beitrag der Bürger geht es nicht

Wenn die Deutschen erst merken, wie teuer die Operation Ausstieg sie komme und wie viele Windräder knapp neben ihre Gartenzäune gesetzt würden, heißt es da, würden sie den Politikern schon in den Arm fallen und den Ausstiegswahn stoppen. Das kann man glauben oder auch nicht. Es zeigt aber eines ganz genau: Bei diesem Thema sitzen die Bürger nicht auf der Zuschauerbank, von der aus sich die Politik beobachten und trefflich verdammen lässt.

In diesem Fall sind die Bürger selbst extrem gefordert. Ohne ihren Beitrag klappt es nämlich auch nicht mit der Wende: Jeder wird nach seinem Vermögen das Energiesparen ernst nehmen müssen - mit dem Verzicht auf die bequeme Standby-Schaltung beim Fernseher, dem Einsatz von Energiesparlampen, beim Kauf der neuen Waschmaschine oder der energetischen Eigenheimsanierung.

Viele werden sich fragen müssen, ob sie ein Windrad oder Strommasten in ihrer Nachbarschaft blind blockieren oder ihre Beteiligungsrechte konstruktiv nutzen und einen persönlichen Kompromiss zugunsten des gesellschaftlichen Ziels eingehen wollen. Mein Strom kommt aus der Steckdose? Das war einmal.