Um ein Heer von Verlierern zu verhindern, muss wenig Qualifizierten geholfen werden, findet StZ-Redakteur Thomas Thieme.

Stuttgart - Deutschland im Herbst 2023: die Universitäten können die Flut von Studenten kaum bewältigen. Trotz des geburtenschwachen Jahrganges an Schülern, die um das Jahr 2005 zur Welt gekommen sind und nun ihr Abitur gemacht haben, steigt die Zahl der Studienanfänger erneut. Gewaltig geschrumpft ist dagegen die Gruppe der Schulabgänger, die sich um eine Lehrstelle bewerben. Selbst nach den Rückgängen der vergangenen Jahre hatte niemand mit einem derartigen Einbruch gerechnet. Die Beteiligten am Dualen Ausbildungssystem – einem Erfolgsmodell des vergangenen Jahrhunderts – müssen ihr Kollektivversagen eingestehen. Egal ob Politik oder Schulen, Betriebe oder Verbände, Arbeitsagenturen oder außerbetriebliche Bildungseinrichtungen – der Tenor ist derselbe: alle Anstrengung war nicht genug, um die schleichende Marginalisierung der Berufsausbildung zu stoppen.

 

Mindestens genauso schlimm wie die angespannte Lage an den Hochschulen und die Flaute am Ausbildungsmarkt ist in diesem Szenario 2023 die Situation der Schulabgänger am Ende der sozialen Leiter. Die Gesellschaft hat die Bildungsverlierer im zurückliegenden Jahrzehnt vollends aus dem Blick verloren und ein neues Heer von unqualifizierten Langzeitarbeitslosen produziert. Es ist die zweite Generation „Hartz IV“: Jugendliche, denen von Haus aus nichts anderes vorgelebt wurde, als sich auf ein Leben ohne Arbeit einzustellen. Diese Jungen und Mädchen haben eine Schulzeit voller Misserfolge hinter sich. Sie können oder wollen sich nicht motivieren und irgendwann ist es auch zu spät, sie von außen für etwas zu begeistern – schon gar nicht, wenn dieses etwas mit Anstrengungen, Geduld, Unannehmlichkeiten und Rückschlägen verbunden ist.

So oder so ähnlich könnte eine Dreiklassengesellschaft am Arbeitsmarkt der Zukunft aussehen. Um das zu verhindern, wurden bereits viele Einzelmaßnahmen ergriffen. An einem Ansatz über die beteiligten Institutionen hinweg mangelt es aber. Es reicht nicht, wenn die Handwerkskammer für eine Lehre als Bäcker oder Friseur wirbt, die IHK ein Loblied auf die Duale Ausbildung singt oder die Arbeitsagentur ein neues Zweite-Chance-Projekt ins Leben ruft. Alle müssen an einem Strang ziehen, fester als je zuvor – und dabei zuerst an die Schwächsten denken.