Bahn und GDL zeigen, dass sie ihren Konflikt nicht lösen können. StZ-Wirtschaftsredakteur Michael Heller befürchtet die weitere Erosion des Tarifvertragssystems.

Stuttgart - So langsam kommt auch langmütigen Zeitgenossen das Verständnis abhanden. Der Tarifkonflikt zwischen der Bahn und den Lokführern, der schon eine gefühlte Ewigkeit dauert, geht in die Verlängerung. Wer die Schuld an der jüngsten Eskalation trägt, ist für Außenstehende kaum zu entscheiden. Und deshalb ist letztlich auch nicht auszuschließen, dass die Gewerkschaft GDL provoziert werden soll, um deren fehlende Macht zur Durchsetzung von Tarifverträgen zu demonstrieren. Niemand sollte sich darüber wundern, dass in solch verfahrenen Situationen Verschwörungstheorien Konjunktur haben.

 

Gravierender ist, dass keine Seite erkennen lässt, wie sie den Tarifkonflikt letztlich beilegen will. Und damit schaden Bahn und GDL gleichermaßen der Sache der Tarifautonomie. Nach den Erfahrungen mit dem nunmehr seit einem dreiviertel Jahr dauernden Konflikt wächst die Bereitschaft, über neue Wege nachzudenken, die freilich alle die Tarifautonomie in Teilen einschränken würde. Das sollte die Beteiligten eigentlich wachrütteln. Anders als in Industrieunternehmen, bei denen für eine gewisse Zeit die Produktion ausfällt (was meist nachgeholt werden kann), sind im Dienstleistungsbereich nun einmal die – unbeteiligten – Kunden die direkt Geschädigten. Entsprechend hoch ist die Verantwortung der Tarifparteien, die Kunden so weit wie möglich zu schonen. Bei der Bahn werden die Beteiligten diesem Anspruch nicht ansatzweise gerecht.

Die Tarifbindung hat in Deutschland in der Vergangenheit ohnehin schon nachgelassen. Das hat auch die Politik unterstützt, indem immer weniger Tarifverträge für allgemeinverbindlich – und damit gültig für die gesamte Branche – erklärt wurden. Tarifverträge sind eigentlich das Mittel, mit dem sich das Problem der Lohnfindung für Arbeitnehmer ebenso wie für Arbeitgeber und die Gesellschaft insgesamt am besten lösen lässt. Deshalb ist nicht verständlich, weshalb die Bahn und die GDL mit dem Feuer spielen und dieses hohe Gut aufs Spiel setzen. Es wird Zeit, dass die Streithähne zur Besinnung kommen.