Seit einem Jahr gibt es den Rechtsanspruch auf Kita-Platz und Betreuungsgeld. Bei den Kitas gibt es gute Fortschritte, meint die StZ-Redakteurin Barbara Thurner-Fromm. Doch das Betreuungsgeld macht in vielen Fällen keinen Sinn.

Stuttgart - Mit einem Jahr – so ungefähr jedenfalls – lernen Kinder laufen. Wacklig zuerst und nicht ohne Plumpser auf ihr Windelpaket, aber die ersten Schritte sind gemacht – und die Welt sieht danach anders aus. Ihren ersten Geburtstag feiern am 1. August auch das Recht auf einen Kitaplatz und das Betreuungsgeld. Beide familienpolitischen Babys haben – um im Bild zu bleiben – inzwischen das Laufen gelernt. Sie wurden wissenschaftlich begleitet; und die Erfahrungen belegen auch hier, dass die Welt bunt ist, jedenfalls nicht nur schwarz oder weiß.

 

Und so wäre als erstes Fazit zu ziehen: Dieses Land diskutiert nicht nur darüber, was kleine Kinder für ihre gute Entwicklung benötigen, es tut auch allerhand dafür. Bund, Länder und Gemeinden unternehmen eine große finanzielle Anstrengung; die war auch überfällig, denn Eltern wurden sehr lange allein gelassen. Nun werden Kitas gebaut wie nie zuvor. Die politisch gewünschte 35-Prozent-Quote ist selbst im lange unterentwickelten Westen und Süden der Republik in Sicht. Doch noch schneller als das Angebot steigt die Nachfrage: fast 42 Prozent aller Eltern suchen einen Kitaplatz oder eine Tagesmutter.

Das Geld wird gerne mitgenommen

Das zweite Fazit lautet damit: Weil die Kommunen trotz aller Anstrengungen vielen Eltern auch heute noch kein vernünftiges Angebot machen können, nehmen diese eben das Betreuungsgeld in Anspruch. Nach dem Motto: wenn schon keine Kita, dann wenigstens den staatlichen Zuschuss von bisher 100, von August an 150 Euro zur privat organisierten Betreuung. Das reicht zwar hinten und vorne nicht für eine Kinderfrau, es dient allenfalls als kleines Trostpflaster. Und all diejenigen, die ihr Kind ohnedies zu Hause betreuen wollen, weil sie das für besser halten, weil sie es sich leisten wollen oder weil Opa und Oma mit Freude gerne mithelfen, greifen das Geld natürlich auch ab. Mehr Spielraum für einen Babysitter, Friseur oder ein neues Kleid nimmt man gerne mit. Doch die Frage, ob es politisch notwendig ist, jemandem, der eine staatliche Infrastruktur nicht benötigt, dafür zu honorieren, ist schnell beantwortet: Nein, dieses Geld ist rausgeworfen.

Ein drittes Fazit, das die Begleitstudie des Deutschen Jugendinstituts nun ermöglicht, ist nicht so nonchalant beiseitezuwischen: Bei Betreuungsgeldempfängern ohne Berufsausbildung oder allenfalls mit Hauptschulabschluss sagen 54 Prozent, dass das Geld für sie einen materiellen Anreiz bildet, ihr Kind nicht in eine Kita zu schicken. Darunter sind naturgemäß viele Migranten. Nun darf man ganz gewiss nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und unterstellen, Migranten oder Eltern mit wenig Bildung wollten nicht auch das Beste für ihre Kinder. Man muss aber aus Erfahrung und wissenschaftlicher Erkenntnis lernen, und die besagen, dass Bildung sozial selektiv ist, und zwar von klein auf und nicht erst bei der Frage Abitur oder Lehre. Deshalb sind Strukturen gesellschafts- und bildungspolitisch schädlich, die kleine Kinder vom spielerischen Lernen und der deutschen Sprache fernhalten, statt ihnen zu helfen, weil ihre Eltern es nicht können.

Die pädagogische Qualität ist entscheidend

Das vierte Fazit müssen freilich auch jene Politiker zur Kenntnis nehmen, die seit Jahren mit dem Bildungsargument gegen das Betreuungsgeld kämpfen: Es reicht nicht, nur zu behaupten, dass Kitas der bessere Weg sind. Die Bertelsmann-Stiftung hat gerade eine Studie veröffentlicht, wonach viele Einrichtungen auch nicht viel mehr als Verwahranstalten sind, weil eine Erzieherin bis zu sechs Kleinkinder zu versorgen hat; bundesweit fehlen 120 000 Fachkräfte. Entscheidend ist die pädagogische Qualität. Sollen Kitas richtig ins Laufen kommen, brauchen sie also mehr Geld. Man darf vermuten: je besser die Kitas, umso geringer die Nachfrage nach Betreuungsgeld. Deutschland wäre allerdings auf diesem Weg schneller vorangekommen, hätte man sich nicht verzettelt.