Nach dem Systemwechwsel benötigt die Gesellschaft eine Kultur der Freiwilligkeit. Ein Kommentar von StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der Verteidigungsminister kann zufrieden sein - vorerst. Der freiwillige Wehrdienst hat zum Auftakt mehr Bewerber angelockt, als veranschlagt worden war. Offen ist, ob der Zuspruch auch künftig ausreicht. Noch schöpft die Truppe aus dem Reservoir der Wehrpflichtigen. Ansonsten ist das von Thomas de Maizière eingeforderte Ehrgefühl, das Vaterland weltweit verteidigen zu müssen, kaum verbreitet. Nicht zuletzt wegen des Afghanistan-Einsatzes erschließt sich vielen jungen Männern und Frauen die Sinnhaftigkeit des neuen Slogans "Wir. Dienen. Deutschland" nicht. Viele treibt allein finanzieller Druck in die Streitkräfte.

 

Offensichtlich hingegen ist der Fehlstart des Bundesfreiwilligendienstes. Wenn lediglich ein Zehntel des für die Zukunft erwarteten Bedarfs angeworben werden kann, lässt sich das neue Angebot nicht schönreden. Allenfalls die verlängerten Zivildienstverträge lindern den personellen Kahlschlag im Sozialbereich. Für ein endgültiges Urteil ist es aber auch hier zu früh. Ein großer Schwung an sogenannten Bufdis ist im Herbst zu erwarten. Bleibt er aus, geraten die Sozialverbände in Engpässe. Auszubaden hätten es Alte und Schwache, die weniger direkte Ansprache erhielten.

Zivildienstträger müssen nun umsteuern

Die Verantwortlichkeiten für das nicht auszuschließende Desaster sind klar verteilt: Es war de Maizières Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg, der die Aussetzung der Wehrpflicht vor einem Jahr quasi im Alleingang durchsetzte. Dass dies auch das Aus für den Zivildienst bedeutete, war ihm gleichgültig. In der Folge versäumte es Familienministerin Kristina Schröder, rechtzeitig einen attraktiven Ersatz auf die Beine zu stellen. So wurde überhastet der Bundesfreiwilligendienst ins Leben gerufen.

Mitverantwortlich sind auch die Zivildienstträger, die dem Systemwechsel fast tatenlos entgegengesehen haben. Jetzt müssen sie umsteuern. Konnten sie die Zivis oft noch als billige Arbeitskräfte missbrauchen, müssen sie nun attraktive Angebote machen, sonst gehen sie leer aus. Bis jetzt bleibt für die Adressaten im Dunkeln, an wen sich die neuen Offerten mit welchen Vorzügen richten. Deshalb fühlt sich kaum einer angesprochen. Es mangelt an Transparenz und Anziehungskraft der Bufdi-Stellen, weniger am prinzipiellen Engagement der Jugend. Gäbe es dies nicht, würden das freiwillige soziale Jahr und das freiwillige ökologische Jahr derzeit kaum boomen.

Manche folgen dem Lockruf des Geldes

Dieses Potenzial gilt es zu beleben. Wir benötigen mehr Einsatz des Einzelnen für das Gemeinwesen. Etliche junge Menschen sind bereit, ihn zu leisten - andere nicht. Manche folgen dem Lockruf des Geldes. Sie sind geprägt von dem übertrieben ökonomisierten Denken einer Ego-Gesellschaft, wie es über viele Jahre von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik forciert wurde. Es kann ja nicht schnell genug gehen mit Schule, Qualifizierung und Karriere - alles zum Wohle der deutschen Unternehmen im globalen Wettbewerb. Das Ganze gipfelt dann im Personalführungsprinzip "Jung vor Alt". Der Gedanke, dass ein Bewerber mit Sozialkompetenz wertvoll sein kann, selbst wenn er etwas älter ist, wird oft ausgeblendet.

Zwangsdienste waren gestern - heute benötigt die Republik eine Kultur der Freiwilligkeit über die zunehmenden Ehrenämter hinaus. Dies schließt die Verteidigung freiheitlicher Grundwerte mit der Waffe ebenso ein wie die Pflege bedürftiger Menschen in einer dramatisch alternden Gesellschaft. Doch weder die Armee noch die Bufdi-Träger sollten ein Sammelbecken für diejenigen sein, die am Arbeitsmarkt chancenlos sind oder sonst nichts mit sich anzufangen wissen. Es sollte den Wert und das Lebensgefühl aller heben, etwas für den Staat zu tun. Der Systemwechsel lässt sich nicht allein mit platten Werbekampagnen bewerkstelligen. Doch sind der neue Wehrdienst und der Freiwilligendienst eine Bewährungsprobe, was uns der gesellschaftliche Zusammenhalt wert ist.