Die Grünen haben Winfried Kretschmann zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl bestellt. Ihre heimliche Ikone aber ist Angela Merkel. Ihr Erfolg in der Flüchtlingsfrage bestimmt auch die Chancen Kretschmanns, meint StZ-Redakteur Reiner Ruf.

Pforzheim - Keine Frage, Winfried Kretschmann ist der Superstar der Grünen in Baden-Württemberg. Wie sollte es auch anders sein, einen besseren Ministerpräsidenten finden sie nicht, kann doch einzig er allein seiner Partei die Chance wahren, weitere fünf Jahre den Regierungschef zu stellen. Fast 97 Prozent bei der Wahl zum Spitzenkandidaten dokumentieren, dass die Grünen um die überragende Bedeutung Kretschmanns für ihren Anspruch auf die Villa Reitzenstein wissen.

 

Er allein verbürgt in Augen der Wähler, dass die Grünen Maß und Mitte wahren, das bürgerliche Ruhebedürfnis nicht mit programmatischen Exzentrizitäten strapazieren und auch sonst keinen Unsinn treiben. Niemand hat das auf dem Parteitag in Pforzheim so markant-bieder zum Ausdruck wie Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn, der in bester altchristdemokratischer Manier anmerkte, es gebe keine Grund, weshalb die Grünen nicht beim Bewährten, also bei Kretschmann bleiben sollte: „Der Winfried soll das weitermachen, der ist der richtige Mann in der Staatskanzlei.“ Von Kuhn ist es nicht mehr weit zu Konrad Adenauer, der einst plakatieren ließ: „Keine Experimente“

Kann da Liebe Sünde sein?

Kretschmann ist und bleibt der Hoffnungsträger der Südwest-Grünen. Als deren gar nicht mehr so heimliche Ikone entpuppte sich allerdings Angela Merkel. Grünen-Landeschefin Thekla Walker zeigte sich beeindruckt von der „klaren und menschlichen Haltung“ der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingskrise. Weitere Delegierte äußerten sich ähnlich, und Regierungschef Kretschmann zeigt sich seit Merkels Entscheidung, die Türen für die in Ungarn drangsalierten Flüchtlinge zu öffnen, ohnehin verzaubert von der Kanzlerin. Vor fünf Jahren verwandelte Merkel nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima den Gründungsmythos der Grünen, den Atomausstieg, in Realität. Jetzt verfolgt sie eine Flüchtlingspolitik, die erneut grüne Herzen glühen und schwarze Seelen zagen lässt. Kann da Liebe Sünde sein?

Jedenfalls ergeben sich aus der Kretschmann-Merkel-Allianz spannende Fragen. Dass Merkel die Grünen machtpolitisch hinter sich hat, nützt ihr gar nichts, wenn ihr die eigenen Parteifreunde in Baden-Württemberg von der Fahne gehen und ins Lager des bayerischen Frondeurs Horst Seehofer überlaufen. CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf sieht die Unruhe in den eigenen Reihen, er nimmt sie auf, wagt es aber nicht, sich wie Seehofer offen gegen die Kanzlerin zu stellen.

Ist Wolf in der Flüchtlingspolitik für oder gegen Merkel? Kretschmanns Herausforderer weicht einer Entscheidung aus, im Zweifel aber wird er sich von Merkel absetzen. Für den Augenblick ist es daher schwer vorstellbar, wie Merkel und Wolf gemeinsam Wahlkampf gegen Kretschmann führen wollen. Alles hängt davon ab, ob es Merkel und ihre Mitstreitern quer durch die Parteienlandschaft schaffen, die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Was bedeutet: ob sie den Bürgern eine Ahnung zu vermitteln vermögen, wie der Flüchtlingszustrom möglichst rasch auf ein langfristig tragbares Maß zurückgeführt werden kann. Gelingt dies, avanciert Merkel zur Überstaatsfrau und Kretschmann kann womöglich weiterregieren. Wenn nicht, sinkt Merkels Stern und Kretschmann zieht sich aufs Altenteil zurück. Womöglich hat bis dahin dann auch Guido Wolf eine eigene Position gefunden.