Im NSU-Prozess hat die Hauptangeklagte Beate Zschäpe offensichtlich das Vertrauen in ihre Verteidiger verloren. Diese auszutauschen ist schwer, stellt der StZ-Redakteur Stefan Geiger fest. Aber in diesem Fall wäre es angebracht.

Stuttgart - Es ist extrem selten, dass ein Pflichtverteidiger auf Antrag des Mandanten von seinen Aufgaben entbunden wird. Dafür muss es schon eine nachweisbare, ernsthafte und andauernde Störung des Vertrauens zwischen einem Angeklagtem und seinem Verteidiger geben. Wäre es anders, herrschte in Deutschlands Gerichtssälen das Chaos. Der Münchner NSU-Prozess könnte freilich zur Ausnahme von der Regel werden.

 

Beate Zschäpe hat, als sie sich seinerzeit der Polizei stellte, deutlich gemacht, dass sie aussagen wollte. Es ist offenkundig, dass ihre Anwälte geraten haben, es sei besser für sie zu schweigen. Zschäpe hat sich über all die Monate daran gehalten – und man konnte ihr anmerken, dass ihr das immer schwerer fiel. Diese Frau ist klug genug, um zu erkennen, dass sie mit dieser Verteidigungsstrategie ein wachsendes Risiko läuft, zur Höchststrafe verurteilt zu werden. Kommt die Sicherungsverwahrung noch oben drauf, bedeutet dies, dass sie allenfalls als alte Frau die Zelle verlassen kann.

Wenn es überhaupt eine Störung des Vertrauensverhältnisses gibt, die eine Entbindung der Verteidiger von ihren Pflichten rechtfertigt, dann zählt der Konflikt, ob eine Angeklagte aussagt oder nicht, zweifellos dazu. Es geht um den Kern jeder Verteidigung. Natürlich steht es Zschäpe frei, auch gegen den Rat der Anwälte zu reden. Dann aber wäre der Arbeit der Verteidiger, so wie diese ihre Aufgabe verstehen, die Grundlage entzogen. Sie müssten gegen ihre eigene Überzeugung verteidigen.

Verteidiger auszuwechseln ist schwer

Hinzu kommt, dass fast alle im Münchner Gerichtssaal ein großes Interesse daran haben, dass Zschäpe aussagt. Dies gilt vor allem für die Nebenkläger. Die Angehörigen der Ermordeten haben immer wieder betont, wie wichtig ihnen ist, genau zu erfahren, was die Täter getrieben hat und welche Helfer sie hatten. Auch die Arbeit der Richter wäre einfacher, wenn sie ihr Urteil auf das Geständnis der Hauptangeklagten gründen könnten. Die Bundesanwaltschaft hat – hoffentlich – ein Interesse, zu erfahren, wie weit ihre Anklage der Wirklichkeit standhält. Nur für die Mitangeklagten mag etwas anderes gelten.

Nach mehr als 120 Verhandlungstagen Verteidiger auszuwechseln ist schwer. Dass der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und seine Kollegen dem Ansinnen von Zschäpe schlicht nachgeben, neue Verteidiger suchen, die sich monatelang einarbeiten müssten und so den Prozess platzen lassen – das ist kaum vorstellbar. Einfach weiterzumachen, als wäre nichts geschehen, wäre aber ebenfalls riskant.

Ein Ausweg, der guten Willen voraussetzt

Die Münchner Richter wollen nämlich jedes Risiko minimieren, dass ihr Urteil am Ende noch einmal aufgehoben werden könnte. Wenn sie in einem so prägnanten Fall an einer Zwangsverteidigung festhalten, steigt dieses Risiko – wenn auch nicht ins Unermessliche. Dabei könnte der Bundesgerichtshof noch das kleinere Risiko sein. Der wird versuchen zu halten, was immer zu halten ist. Es wäre aber wahrscheinlich, dass der Fall am Ende beim Bundesverfassungsgericht landet oder gar beim oft wenig berechenbaren Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg.

Es gäbe jedoch einen Ausweg. Er würde guten Willen von allen Beteiligten erfordern, von Zschäpes Verteidigern aber Größe. Würden ein oder zwei Anwälte ausgetauscht, das ginge leichter als eine Entpflichtung, müssten die verbleibenden Alt-Verteidiger bereit sein, dem neuen Anwalt zuzuarbeiten mit all ihrem Wissen. Sie müssten dessen neue Strategie hinnehmen und sich selbst zurücknehmen. Eine Einarbeitungszeit von einem viertel Jahr wäre möglich, wenn das Gericht derweil zwei Mal kurz zusammentritt. „Schiebetermin“ heißt das in der Justiz. Diese Zeit wäre verschmerzbar. Alle könnten gewinnen, vor allem der Rechtsstaat, der bewiese, dass er selbst seinen ärgsten Gegnern angemessene Verteidigungschancen gewährt.