Der Landtag hat es geschafft, sich bei der Aufklärung der NSU-Umtriebe in Baden-Württemberg gründlich zu blamieren. Der U-Ausschuss bietet die letzte Gelegenheit, dem Ernst des Themas gerecht zu werden, kommentiert StZ-Redakteur Reiner Ruf.

Stuttgart - Es ist doch so: Rechtsextreme im Allgemeinen und Neonazis im Besonderen haben wir uns allzu lange als dumpfe Gestalten mit alkoholvernebelten Gehirnen vorgestellt, die eher situativ, gern nach Beschallung mit blutrünstiger Szenemusik, zu Gewaltexzessen gegen andersfarbige oder sonst wie anders geartete und denkende Menschen neigen. Solcherlei Taten galt es in jedem Einzelfall zu bedauern, zumal sie unser Selbstbild, Teil einer liberalen, aufgeklärten Gesellschaft zu sein, immer wieder aufs Neue in Frage stellten. Aber die Vorstellung, es könne ein rechtsextremes Netzwerk existieren, das einen planmäßig handelnden, geschickt camouflierten und erstaunlich ausdauernden Terrorismus hervorbrächte, erschien uns doch fremd. Den Sicherheitsbehörden leider auch. Rechtsterroristische Strukturen gebe es nicht, lautete die Standardformel. Das NSU-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hat uns eines, nein: nicht Besseren, eines Anderen belehrt.

 

Freiraum für Hobbydetektive

Drei Jahre ist es her, dass die Morde an zehn Menschen, mehrere Mordversuche, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle sowie eine Brandstiftung einer rechtsextremen Zelle zugeordnet werden konnte, die anfangs als autonom agierende Gruppe wahrgenommen wurde. Doch der Verdacht, dass hinter dem Trio deutlich mehr Helfer und Mitwisser standen, wird immer drängender. Allein schon dieser Paradigmenwechsel in der Betrachtung des Rechtsextremismus verdient einen eigenen Untersuchungsausschuss des Landtags. Ganz zu schweigen von den Merkwürdigkeiten, die im Zuge der bisherigen Aufarbeitung bekannt wurden. Dazu gehören die Ermittlungspannen nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn ebenso wie die Frage, wie Polizisten zum Ku Klux Klan stoßen konnten, dennoch im Dienst verblieben, um später in Böblingen bei jener Einheit wieder aufzutauchen, bei der auch Kiesewetter Dienst tat. Wie übrigens auch Beamte, die im Urlaub nach Libyen flogen, um dort Elitesoldaten von Gaddafi auszubilden. Es gibt viele offene Fragen, deren Beantwortung die Abgeordneten bisher der Selbsterforschung der Exekutiven, einigen Journalisten und Hobbydetektiven überließen. Parteitaktik beherrschte das Geschehen im Landtag.

Der Untersuchungsausschuss kommt spät. Er ist auch nicht dazu da, Polizeiarbeit zu simulieren. Aber er bietet die Gelegenheit, Verantwortliche vor dem Repräsentativorgan des Landes zu befragen, Schwachstellen aufzudecken und Strukturen zu überdenken. Das ist eine Chance, sofern die Abgeordneten – anders als in der gescheiterten Enquetekommission – in ihm mehr erkennen als ein Termingerüst zur Strukturierung ihrer Arbeitstage.