Die marktbeherrschende Stellung des Online-Händlers Amazon gefährdet die Buchkultur. Wie sehr, das liegt in der Hand der Kunden, kommentiert der StZ-Redakteur Stefan Kister.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Parkplatzsuche ist demütigend, und in den Straßenbahnen riecht es nach Schweiß und fauligen Bananen. Wie gut also, dass die Lesefreunde des 21. Jahrhunderts nicht mehr die Mühsal vorangegangener Generationen auf sich nehmen müssen, um an die neuesten Bücher ihrer Wahl zu kommen – zwei, drei Mausklicks genügen, und sie werden bequem frei Haus geliefert. So gutgläubig denken immer noch viele und haben damit dem Online-Händler Amazon zu einer marktbeherrschenden Stellung verholfen.

 

Welche fatalen Auswirkungen dies für den stationären Buchhandel hat, ist das eine; mit welchen harten Methoden der Konzern mit seinen Mitarbeitern umspringt, die die überragende Lieferlogistik erst ermöglichen, ein anderes. Über beides wird immer wieder diskutiert, was aber nicht verhindern konnte, dass der Konzern inzwischen in Deutschland 20 Prozent des Buchhandels kontrolliert, im Internetbuchhandel bereits drei Viertel der gesamten Verkäufe. Es ist halt so bequem.

Konkurrenten haben gegen die Preispolitik keine Chance

Nun aber zeigt sich unverhüllt eine neue Qualität der ins Gewaltige gewachsenen Macht des einstigen Garagenunternehmens, die die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen scheint: dass Amazon in Zukunft nicht mehr nur über den Vertrieb der bestehenden Literatur gebieten könnte, sondern auch darüber, was besteht. Im Kampf um Rabatte setzt der Online-Gigant den französischen Großverlag Hachette und die Bonnier-Gruppe unter Druck, zu Letzterer gehören in Deutschland Piper, Ullstein und der Harry-Potter-Verlag Carlsen.

Wer bei Amazon zurzeit einen der Rowling-Bände bestellt, muss so viel Geduld mitbringen, wie sie kein anderer Buchhändler seinen Lesern abzuverlangen wagen würde. Bis zu zehn Tage dauert die Lieferung. Damit versucht der Konzern, von den Verlagen weitere Preisnachlässe zu erzwingen. Beim Weiterverkauf an den Endkunden verschafft sich Amazon so gegenüber Konkurrenten einen uneinholbaren Vorteil. In Deutschland umso mehr übrigens, als Amazon seine Steuern in Luxemburg zahlt und angekündigt hat, seinen Versand nach Polen zu verlegen.

Aus dem Buchvertreiber ist ein Buchverweigerer geworden

Mit den Schikanen gegen Hachette und Bonnier ist aus dem Buchvertreiber ein Buchverweigerer geworden, der in diesem Fall allerdings die Rechnung ohne den Wirt beziehungsweise die Autoren gemacht hat. Der eindrucksvolle Protest jener, ohne deren Produkte sich Amazon mit dem Vertrieb von Flachbildschirmen oder Kameras begnügen müsste, ist mittlerweile ähnlich global wie das Vertriebsnetz des Buchgiganten. Den angloamerikanischen Autoren schließen sich täglich weitere aus dem deutschsprachigen Raum an. Bis zum Freitag haben rund 1500 Schriftsteller einen offenen Brief unterzeichnet, im dem Jeff Bezos, dem Amazon-Chef, vorgeworfen wird, sein Unternehmen manipuliere Empfehlungslisten und ruiniere mit Erpressungsmethoden den Buchmarkt. Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters unterstützt die Aktion und erinnert daran, dass „marktmächtige Unternehmen“ nicht die Vielfalt auf dem deutschen Buchmarkt beschränken dürften.

Bislang deutet freilich wenig auf ein Einlenken des Konzerns, so fatal die Proteste für sein Image auch sein mögen. Ist die Macht schon so groß? Sie würde jedenfalls grenzenlos, knickten die betroffenen Verlage ein. Bei der in dieser Woche vorgestellten digitalen Agenda der Bundesregierung ist, was die „missbräuchlichen Ausnutzung von marktbeherrschenden Stellungen“ angeht, viel von Prüfen die Rede. Richtig konkret ist das nicht. Wettbewerbshüter wiederum räumen der kartellrechtlichen Beschwerde des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels nur geringe Chancen ein. Was also tun? Wem die Vielfalt der Buchkultur wirklich am Herzen liegt, sollte sein Einkaufsverhalten prüfen. Noch gibt es Alternativen.