Auf den neuen Stuttgarter Baubürgermeister Peter Pätzold warten große Herausforderungen. Die Bürgerinnen und Bürger verlangen nach einer lebenswerten, nicht nach einer autogerechten Stadt, meint der StZ-Redakteur Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Man sollte ja vorsichtig sein im Gebrauch von Superlativen. Wer aber in diesen Tagen einen Blick auf das politische Stuttgart wirft, darf mit Fug und Recht feststellen: So grün war die Landeshauptstadt noch nie. Fritz Kuhn ist seit zweieinhalb Jahren Oberbürgermeister, der Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle amtiert bereits seit 2011 – und nun gesellt sich Peter Pätzold dazu, der am Donnerstag zum Bau- und Umweltbürgermeister gewählt wurde. Damit besetzen die Grünen drei Schlüsselpositionen im Rathaus. Und weil zumindest bis März 2016 auch der Ministerpräsident derselben Partei angehört und der Draht ins Staatsministerium deswegen kurz ist, haben die Grünen jetzt so viel Macht in der Stadt wie nie zuvor.

 

Daraus erwächst eine immense Verantwortung. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber eine, die gerade den auf Nachhaltigkeit bedachten Grünen nicht groß genug ins Stammbuch geschrieben werden kann. Denn gemessen an belegbaren Taten fällt ihre Zwischenbilanz dürftig aus. In einigen wesentlichen Punkten klaffen Realität und Programm sogar weiter auseinander denn je. Dies gilt vor allem für den Verkehr. OB Kuhn will zwanzig Prozent weniger Autos auf den Straßen. Tatsächlich aber ist die Zahl der Vehikel auf Rekordniveau gestiegen. Und kein Wendepunkt in Sicht.

Pätzolds Voraussetzungen sind nicht schlecht

Dabei eint viele Bürgerinnen und Bürger Stuttgarts eine große Sehnsucht: Sie wollen nicht in einer autogerechten Stadt leben, sondern in einer lebenswerten. Diesen Umbau zu gestalten, ist das Megathema des Oberbürgermeisters und seines Bau- und Umweltbürgermeisters Pätzold.

Die Voraussetzungen dafür sind gar nicht schlecht. Das beginnt, vermeintlich ganz lapidar, mit dem Zuschnitt von Pätzolds Ressort. Städtebau und Umweltschutz sind gerade in einer Stadt wie Stuttgart längst zwei Seiten derselben Medaille. Das eine darf nicht mehr ohne das andere gehen. Statt großer Visionen von tollen Hochhäusern, Einkaufszentren oder Veranstaltungshallen braucht es kreative Konzepte für kleinteiligeres Wohnen, am besten gepaart mit einem tragfähigen Mobilitätskonzept, das den Menschen einerseits Ruhe gönnt und frische Luft zum Atmen gibt, andererseits urbanes Lebensgefühl vermittelt. Das klingt vielleicht nach der Quadratur des Kreises, und es hat ja auch niemand behauptet, dass die Aufgaben einfach wären, die vor Kuhn und Pätzold liegen. Aber die Stadt auf diese Art umzubauen, das ist ein Leuchtturmprojekt, für das sich jede Stunde Arbeit lohnt.

Herausforderung Rosensteinquartier

Ansätze dazu gibt es an vielen Ecken der Stadt. In seiner Bewerbungsrede hat Pätzold das Stichwort „Stadt am Fluss“ wieder genannt. Viele Stuttgarter kennen das schon von Alt-OB Schuster. Auch Fritz Kuhn hatte die Idee bereits in seinem Wahlkampf aufgegriffen. Und nun Pätzold. Damit haben jetzt drei kommunalpolitische Schwergewichte darüber geredet. Ob nun Taten folgen? Oder die Zukunft der B 14. Wie sich die Hauptverkehrsstraße in einen Stadtboulevard verwandeln könnte, ist eine vollkommen ungeklärte Frage. Und nicht zuletzt das Rosensteinquartier. Auf der größten Spielwiese der Stadt warten viele Herausforderungen auf den OB und seinen Bau- und Umweltbürgermeister: Zunächst müssen beide eine neue Art der Bürgerbeteiligung auf den Weg bringen, dann müssen sie mit den Ergebnissen derselben umgehen und daraus ein Konzept entwickeln, das beispielhaft für die Stadt der Zukunft ist. Klingt pathetisch, nicht wahr? Aber nichts weniger ist es, was die Bürger von ihren Stadtoberhäuptern erwarten. Und plötzlich drehen sich auch persönliche Ansichten. Denn obwohl Kuhn und Pätzold gegen Stuttgart 21 gekämpft haben, können ausgerechnet sie nun auf den frei werdenden Flächen ein grünes Vorzeigeprojekt schaffen. Politik ist manchmal schizophren. Aber das ist ja auch das Spannende daran.