Die Lotsen betreiben Rosinenpickerei, urteilt StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer. Deshalb brauche es wieder strengere Spielregeln.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Zugegeben, der Vergleich mit David, dem israelitischen Schafhirten, und Goliath, dem kolossalen Philister-Krieger, ist ziemlich abgenutzt. Doch muss der junge Herausforderer seine Steinschleuder nur gegen zwei gelbe Kellen austauschen, schon lässt sich eine ganz aktuelle Version dieser Legende erzählen. Von der Macht, mit einem Häuflein Gleichgesinnter den Verkehrsfluss der Bundesrepublik ins Stocken zu bringen, träumt wohl jeder Arbeiterführer. Ein solcher Coup gelingt nun der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) mit einem Streik von 200 Flugfeldlotsen auf dem Frankfurter Flughafen. Der Goliath – die Gesellschaft Fraport mit ihren 20 000 Beschäftigten – wankt zwar nicht, muss aber fast machtlos zuschauen.

 

Die Unentbehrlichkeit des Luftverkehrs und die Dominanz des Drehkreuzes Frankfurt machen es möglich: Dass ein paar Streikende so großen Einfluss nehmen können, hat es in der Tarifgeschichte noch nie gegeben. Wieder einmal klagen Wirtschaftsvertreter, dass ein Unternehmen „erpresst“ werde und Passagiere „in Geiselhaft“ genommen würden. Diese Wortwahl deutet auf einen vermeintlich illegalen Akt hin und ist deplatziert. Denn tatsächlich ist es die gewandelte Rechtsprechung, die den Funktionseliten den Freiraum verschafft, mit einem geringen Aufwand unverhältnismäßig hohen Schaden anzurichten.

Tarifpolitische Rosinenpickerei lohnt sich

Die Berufsorganisationen stehen vor der Herausforderung, verantwortlich mit den neuen Möglichkeiten umzugehen. Der Gewerkschaft der Flugsicherung scheint dies zu misslingen. Für einen kleinen Trupp von Mitarbeitern eine fünfzigprozentige Einkommensverbesserung herausschlagen zu wollen, wirkt dreist – selbst wenn die Streikenden in Frankfurt für sich nur das gleiche Gehaltsniveau wie in München oder Berlin reklamieren. So komplex ist ihre Aufgabe nicht, dass solch üppige Aufschläge gerechtfertigt erscheinen.

Doch längst hat sich gezeigt: tarifpolitische Rosinenpickerei lohnt sich. Erst vor wenigen Monaten hatten die Fluglotsen mit ihren Streikplänen Schrecken verbreitet und am Ende ein Gehaltsplus von 5,2 Prozent erstritten. Die GdF ist durchaus erfolgreich darin, die Grenzen auszuloten, die das Bundesarbeitsgericht den Splittergewerkschaften eingeräumt hat. Immer mehr Davids präsentieren den Goliaths ihre Waffenarsenale. Ihre Resultate motivieren wiederum gut organisierte Fachgruppen der Mammutgewerkschaften – wie jüngst die Busfahrer bei Verdi –, starke Verbesserungen zu erkämpfen.

Schwarz-Gelb ist handlungsunfähig

Damit ist der soziale Friede nicht am Ende – die Bundesrepublik ist ein streikarmes Land. Doch braucht es für die Zukunft offenbar wieder strengere Spielregeln, um einerseits permanente Unruhe zu verhindern und andererseits der Zersplitterung des Arbeitnehmerlagers Einhalt zu gebieten. Beispielsweise könnte man Schlichtern mehr Macht geben. Die Regierenden haben die Brisanz erkannt. Die Minister können sich aber auf keinerlei Stabilisierung des Betriebsfriedens durch gesetzliche Eingriffe verständigen. Schwarz-Gelb ist handlungsunfähig. Die FDP blockt, und weil Angela Merkel Ärger fürchtet, lässt die Kanzlerin die Debatte einfach versanden.

Rückgängig machen lässt sich der Prozess ohnehin nicht mehr, nur bremsen. Bei aller Kritik an den egoistisch agierenden Flugfeldlotsen sei aber hinzugefügt: Die Entsolidarisierung der Gesellschaft haben nicht zuletzt Wirtschaftsführer vorgelebt, die über Jahre für sich das Maximale herausgeholt haben. Viele machen seit Ausbruch der Krise unbeirrt weiter. Die sogenannte Umverteilung des Gesamtvermögens von unten nach oben führt unten zu einem anderen Denken. Wer kann, sucht sozusagen auf eigene Faust den Weg nach oben. Auch dieser besorgniserregende Trend, der wegen seines archaischen Charakters durchaus an David und Goliath erinnert, muss die Politik alarmieren.