Die Überwachung des Linken-Politikers Bodo Ramelow durch die Geheimdienste war verfassungswidrig. Sagt das Gericht in Karlsruhe. Dies ist ein Sieg für die Linke, aber auch für die Demokratie, meint der StZ-Redakteur Stefan Geiger.

Stuttgart - Warum braucht es immer wieder das Bundesverfassungsgericht? Warum genügt nicht die praktische, politische Vernunft der Mächtigen, um zu erkennen, dass sie selbst auf dem glitschigen Gelände der Verfassungswidrigkeit der Mauer entgegenrutschen? Warum haben andere Richter, vorneweg die obersten deutschen Verwaltungsrichter, verliebt in die Formalien, aber im Herzen obrigkeitsgläubig, nicht mehr Mannesmut gehabt? Es war doch seit vielen Jahren absehbar, dass die Beobachtung des biederen und realitätsbezogenen Linken-Politikers Bodo Ramelow durch die Geheimdienste, dass jedenfalls diese Überwachung in dieser Form vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben wird. Man hätte nur in älteren Urteilen nachlesen müssen. Warum mussten sich gestandene Menschen wieder einmal so blamieren?

 

Es ist ein Unding, Parlamentarier, die zu Recht von der Verfassung einen besonderen Schutz für ihr Amt zugebilligt bekommen haben, von einem Geheimdienst überwachen zu lassen. Da überwachen jene, die selbst vom Parlament kontrolliert werden sollen und kontrolliert werden müssen, ihre legitimen Kontrolleure. So etwas mag Praxis in autoritären Regimen sein, einer entwickelten Demokratie ist das nicht gemäß. Etwas anderes mag allenfalls gelten, wenn der einzelne Parlamentarier selbst einen begründeten Anlass dafür gegeben hat zu vermuten, er würde die Verfassung aktiv bekämpfen. Bei Bodo Ramelow hat dies nie jemand behauptet.

Kein Freibrief für die Linke

Das Verfassungsgericht hat juristisch entschieden, zumindest in einem Punkt aber politisch argumentiert: Es verteidigt Ramelow auch deshalb, weil er innerhalb der Linken aktiv ist. Gerade wenn in einer Partei wie der Linken unterschiedliche Kräfte und Strömungen miteinander ringen, stärke das innerparteiliche Engagement eines Mitglieds, das selbst „auf dem Boden der freiheitlichen Grundordnung“ steht, diese freiheitliche Ordnung. Auf diese Idee hätten auch der Bundesinnenminister und der Verfassungsschutz kommen können – und kommen müssen.

Das Verfassungsgericht hat der Linken freilich keinen Freibrief ausgestellt. Ramelow hat mit seiner Verfassungsbeschwerde gesiegt. Die Organklage der Partei aber wurde aus formalen Gründen zurückgewiesen. In der Sache hat Karlsruhe an dieser Stelle noch nicht entschieden. Aber die Begründung macht deutlich, dass die Richter bei erwiesenen Extremisten anders urteilen würden. Die spannende Frage bleibt, wo genau Karlsruhe die Grenze ziehen würde. Die Linke selbst hat wohl auch kein Interesse daran, dies auszutesten.

Überwachung ist ein Zeichen der Schwäche

Karlsruhe versucht, ausgewogen zu urteilen. So ganz gelingt das dem Gericht nicht. Die Linke hat sich verändert, sie hat sich entwickelt – so wie andere Parteien auch. Und sie verändert sich ständig weiter. Man sollte sich mit ihr politisch auseinandersetzen. Und man kann sich politisch mit den Leistungen und den Fehlern eines jeden ihrer Funktionäre auseinandersetzen. Man muss dies tun, dort, wo sich radikale Strömungen zeigen, ganz besonders. Was das Verfassungsgericht für das innerparteiliche Engagement beschrieben hat, gilt ebenso für den politischen Klärungsprozess über Parteigrenzen hinweg. Die Überwachung durch Geheimdienste, auch die Überwachung einzelner Gruppierungen innerhalb dieser Partei, ist längst kein zielführender Weg mehr. Sie ist ein Zeichen von Schwäche.

Es gibt Parteien der Mitte, und es gibt Parteien an den Rändern, auch radikale Parteien. Die Demokratie braucht sie alle, damit die beste Lösung sich herausmendeln kann. Es gibt für diesen Wettbewerb in Deutschland im Augenblick nur eine einzige Ausnahme: eine neonazistische, rechtsextreme Partei. Sie unterscheidet sich grundsätzlich von allen anderen. Für die ist auch der Verfassungsschutz zuständig.