Update: Christian Wulff hat den Freispruch erster Klasse bekommen, auf den er gehofft hatte. Nun gilt es, allgemein Lehren aus der Affäre zu ziehen, schreibt Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Christian Wulff wird zutiefst erleichtert sein – und er darf Genugtuung empfinden. Seine Strategie ist aufgegangen, das quälende Verfahren vor dem Landgericht Hannover bis zum Ende durchzuziehen und sich nicht vorher auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft einzulassen. Er hat den von ihm erhofften Freispruch erster Klasse erhalten – sogar ergänzt durch eine Entschädigung für die Unbilden einer Hausdurchsuchung. Eine klatschende Ohrfeige für die ermittelnden Staatsanwälte.

 

Der Richter hat keine hinreichenden Beweise gesehen, die eine Verurteilung wegen Vorteilsnahme rechtfertigen. Dieser Freispruch bedeutet für Wulff weit mehr als die Klärung eines juristischen Streitfalls. Ihm ging es um gesellschaftliche Rehabilitation. Um die Wiederherstellung seiner Ehre, die er durch wochenlanges journalistisches und politisches Trommelfeuer sowie den schmachvollen Abgang aus Schloss Bellevue mutwillig von außen zerstört sieht.

Betrachtet man den Menschen Christian Wulff, ist Mitgefühl angebracht: die Affäre hat ihn nicht nur das Präsidenten-Amt und die politische Zukunft gekostet. Sie hat sicher auch Anteil am Scheitern seiner Ehe. Die Anwaltskosten werden ein Vermögen verschlungen haben. Er wird auf immer ein gezeichneter Mann bleiben. Das Urteil von Hannover gibt ihm die Chance, ein neues Leben zu beginnen.

Keiner kommt aus dieser Affäre sauber raus

Falls die Staatsanwälte, wozu ihnen nur zu raten ist, von einem Revisionsantrag absehen, ist damit die juristische Aufarbeitung dieser Staatsaffäre beendet. Trotz des Freispruchs hinterlässt sie einen sehr bitteren Geschmack. Keiner kommt aus ihr sauber raus: Wulff nicht, die Medien nicht, erst recht nicht die Justiz. Alle haben Fehler gemacht, teilweise schwerwiegende.

Wulff trat als Bundespräsident zurück, als die Staatsanwälte das Ermittlungsverfahren eröffneten. Die Demission war in diesem Moment unvermeidbar, aber Wulff hätte bereits vorher gehen sollen. Er hatte sich als niedersächsischer Ministerpräsident in eine unziemliche Nähe zu Wirtschaftsgrößen gebracht, er hatte vielerlei Vergünstigungen genutzt, er hatte dem Landtag die Wahrheit über einen Hauskredit verschwiegen, er hatte die Aufklärung über alle diese Dinge behindert – bis hin zu Drohungen gegen Journalisten. Wulff war, jenseits des juristischen Urteils über seine Korrumpierbarkeit, als Staatsoberhaupt nicht mehr tragbar. Er war der falsche Mann für dieses Amt, er hatte nicht das notwendige Kaliber.

Ohne die Hartnäckigkeit von Journalisten wären Wulffs dunkle Seiten unbeleuchtet geblieben. Aber die investigative Verfolgung glich zeitweise einer Menschenjagd, journalistischer Anstand wurde vielfach verletzt. Die Affäre zwingt die Medien, über die Grenzen zwischen Information und Denunziation, zwischen Aufklärung und öffentlicher Hinrichtung neu nachzudenken.

Der Skandal kann reinigende Wirkung entfalten

Jagdeifer trug auch die Staatsanwälte fort. Es war richtig, dass sie dem Anfangsverdacht nachgingen. Es war angesichts der politischen Brisanz des Falles auch richtig, mit hohem personellen und finanziellen Aufwand zu ermitteln. Aber die Hannoveraner Juristen spürten nicht, dass sie sich verrannten – oder es fehlte ihnen der Mut aufzuhören, als sich die juristischen Vorwürfe Punkt um Punkt auflösten. Das exzessive Treiben hat das Vertrauen in eine unabhängige, nur der Wahrheitssuche verpflichtete Justiz erschüttert.

Jeder politische Skandal kann neben seinen unmittelbaren Folgen für die Skandalverantwortlichen, die nicht immer so hart zu büßen haben wie Christian Wulff, eine kathartische Wirkung für die Gesellschaft insgesamt entfalten. Weil er Fehler aufdeckt. Weil er Hinweise gibt, es künftig besser zu machen. Der Wulff-Affäre ist diese reinigende, heilende Wirkung noch mehr zu wünschen als anderen Skandalen.