Die Weltgemeinschaft reagiert erst spät auf die Seuche, die sich in Westafrika ausbreitet. Warum Hysterie trotzdem fehl am Platz ist, sagt der StZ-Kommentator und frühere Afrika-Korrepondent Christoph Link.

Stuttgart - Der afrikanische Kontinent ist noch nicht durchgehend asphaltiert und versiegelt. Er lässt wilde Natur zu, in der die sogenannten vernachlässigten Krankheiten gedeihen, für die sich sonst auf der Welt keiner interessiert. Gelbfieber, Lepra, Bilharziose, Ebola und andere, übertragen durch Viren, Moskitos, Sandflöhe oder Schlangen. Man könnte eine Topografie der Gesundheit erstellen für Afrika: Die Wildnis der Serengeti in Tansania gehörte zum Beispiel dazu, die ihre Unberührtheit trotz des Siedlungsdrucks der berüchtigten Tsetse-Fliege verdankt, die auf Mensch und Vieh die tödliche Schlafkrankheit überträgt. Dazu zählte auch die Bucht von Guinea, die wegen ihres schwül-heißen Klimas früher als „Grab des weißen Mannes“ galt. Oder das kühle Hochland von Äthiopien oder Kenia – bevorzugte Siedlungsgebiete aus einem einzigen Grund: weil es dort keine Malaria-Mücken gibt.

 

Die Ebola-Seuche aus dem Regenwald hat die Welt aufgeschreckt. Die Begleitumstände dieser in 50 bis 60 Prozent der Fälle tödlich verlaufenden Krankheit sind schockierend, machen Angst. Hysterie und eine Dämonisierung von Ebola – wie sie sich in den USA und in deutschen Medien spiegeln – ist aber fehl am Platz. Will man Ebola bekämpfen, wird man einen sachlichen Blick benötigen und zunächst feststellen, dass der Virus seit 40 Jahren bekannt ist.

Die Seuche wurde lange verharmlost

Es hat kleinere Wellen dieser Seuche in Ost- und Zentralafrika gegeben, seit Mitte der 70er Jahre in regelmäßigen Abständen von einigen Jahren mit jeweils wenigen Hundert Toten. Der jüngste Ausbruch – seit März in Guinea bekannt, rückblickend vermutlich auf Dezember 2013 datierend – ist der dramatischste mit fast 1000 Toten. Die Weltgesundheitsorganisation hat vergangene Woche die Reißleine gezogen und den globalen Notstand ausgerufen. Aber Experten wie Gisela Schneider vom Deutschen Institut für Ärztliche Mission bemängeln zu Recht, dass die WHO erst spät eine Schnelleingreiftruppe entsandt hat. Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen fühlt sich allein gelassen an der medizinischen Front im Busch. Und in den betroffen Ländern, die unter den Folgen von Kriegen oder politischer Instabilität leiden, ist die Ebola-Krise lange verharmlost worden – ein tödlicher Fehler.

Das weltpolitische Gewissen könnte sich indes fragen lassen, warum es noch keine namhafte Stiftung oder einen Pharmakonzern gibt, der sich die Erforschung eines Impfstoffes gegen Ebola auf die Fahnen geschrieben hat. Auch Aids galt als unheilbar – bis die USA zum Vorreiter in der Forschung nach Medikamenten wurden.

Die menschliche Tragik ist immens

Bei der Bekämpfung von Aids, aber auch bei der Ausrottung von Polio, beim Kampf gegen Malaria, Typhus, Tuberkulose und Cholera sind im vergangenen Jahrzehnt in Afrika gute Fortschritte gemacht worden – durch internationale Hilfe, durch Impfprogramme und billigere Arzneimittel. Dennoch sind einige der Krankheiten – Malaria, Aids und Tuberkulose – noch mitverantwortlich für den Tod von Millionen Afrikanern in unterentwickelten Regionen. Sie sind die Massenkiller, nicht Ebola. Die menschliche Tragik dieser Seuche ist und bleibt dennoch immens. Die Angehörigen von Ebola-Kranken in Guinea oder Liberia müssen aufhören mit einer im Prinzip humanen Tradition, sich um ihre sterbenden Familienmitglieder auch durch Körperkontakt – anfassend, waschend – zu kümmern und von ihnen Abschied zu nehmen.

Wer heute entsetzt nach Afrika blickt, sollte an diejenigen denken, die Ebola überlebt haben. Die junge Grace Okelo etwa, die ihre Infektion beim Ausbruch der Seuche einst in Norduganda geschwächt überlebt hat. Ihre Eltern und Geschwistern starben. Sie müsse halt weitermachen, sagt Okelo, sie habe neun Waisen zu versorgen. Seltene Krankheiten wie Ebola sollten das Weltgewissen anrühren, man darf die Opfer nicht stigmatisieren und alleine lassen.