Die neue EU-Kommission ist vom Parlament bestätigt. Jean-Claude Junckers Team, mit einer großen Koalition im Rücken, muss nun riesige Probleme lösen, kommentiert Christopher Ziedler.

Stuttgart - Das ist neu und demokratisch: Der Mann, der im Frühjahr im Fernsehen und auf Plakaten für sich geworben hat, steht jetzt mit seinem Team an der Spitze der wichtigsten Brüsseler Institution. Die Wahl von Jean-Claude Junckers EU-Kommission im Straßburger Europaparlament bildet den Abschluss des sogenannten Spitzenkandidatenprozesses. Zugegeben, eine Mehrheit der wahlberechtigten Europäer hat die Chance nicht genutzt, erstmals auf die europäische Personalpolitik Einfluss zu nehmen. Dennoch ist diese neue EU-Kommission stärker legitimiert als jede andere zuvor. Ihr Präsident könnte in Zukunft mehr auf die Bürger denn auf die Staats- und Regierungschefs sowie die Heerscharen von Lobbyisten hören.

 

Das ist dringender geboten denn je. Die Krise samt der Politik zu ihrer Bewältigung, die sie nach Ansicht vieler noch verschärft hat, haben Europas Einigungswerk so umstritten werden lassen wie nie zuvor. Aus wohlwollendem Desinteresse ist vielerorts hasserfüllte Ablehnung geworden. Die beschämende Jugendarbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung, wirtschaftliche Stagnation mit der drohenden Eurokrise 2.0 am Horizont oder das große Fragezeichen hinter dem USA-Handelsabkommen tun ein Übriges. Insofern führt der Luxemburger Juncker bei allen Chancen, die das neue Verfahren mit sich bringt, von nun an auch die EU-Kommission der letzten Chance.

Mehr Demokratie heißt auch: mehr Parteipolitik

Es ist gut, dass sich nun ein Kandidat des Parlaments und damit der Bürger auf den Weg macht, sie zu ergreifen. Das hat aber auch Folgen, die nicht jedem gefallen. Gestärkt wird nämlich ebenfalls das in repräsentativen Demokratien vorgesehene Bindeglied zwischen Bürger und Staat – die Parteipolitik. Zu beobachten war das in den Anhörungen von Junckers Ministern. Im Ganzen hat er eine starke, erfahrene Truppe beieinander, doch hinterließen einige Kommissarskandidaten einen schwachen Eindruck oder wirkten politisch befangen. Bis auf eine Auswechslung und kleine Änderungen am Ressortzuschnitt jedoch ließ die große Koalition von Christ- und Sozialdemokraten mehrere schwarze Schafe passieren. Da überrascht es nicht, dass Grüne und Linke, EU- und Eurogegner sowieso, mit Nein gestimmt und die deutschen FDP-Abgeordneten wie die britischen Tories sich bei der Abstimmung enthalten haben.

Große Koalitionen können gut oder schlecht sein. Schafft Juncker nur politisches Wirrwarr mit Bonbons für alle Beteiligten oder gelingt mit der integrativen Kraft der größten Lager der große Wurf? Die Herkulesaufgabe der nächsten Jahre besteht darin, die ideologischen Gräben zuzuschütten, die Europa blockieren.

Weder Sparen noch Investieren alleine reicht aus

Weder der einseitige Mix von Sparpolitik und Strukturreformen aus dem Kanzleramt kann die Wirtschaftskrise beenden, noch sind allein Investitionsprogramme dazu geeignet – es braucht beides. Brauchen wir mehr oder weniger Europa, um die Depression hinter uns zu lassen? Junckers Ansatz, nur das Nötige europäisch zu regeln, das aber konsequent, ist richtig. Europas Exportnationen müssen offen für freien Handel bleiben – aber nicht auf Kosten von Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz. Der Binnenmarkt birgt noch riesiges Potenzial für die Energiewende, den Verkehr oder die digitale Zukunft – er darf aber nicht in blinder Gleichmacherei enden. Und wo liegt der Mittelweg zwischen der tödlichen Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen und der verbreiteten Sorge, die ganze Welt komme nach Europa?

Die Arbeit wird Junckers Team also nicht ausgehen. Nun müssen den Erwartungen und Erklärungen Ergebnisse folgen. 2017 dürften die Briten über ihren Verbleib in der Union abstimmen, nur eine reformierte, ökonomisch erholte und zugleich sozialere EU dürfte sie dazu bewegen. Andernfalls macht die Gemeinschaft einen weiteren Schritt auf den Abgrund zu. Weit bis zur Kante ist es nicht mehr.