Dürfen die Bürger auf den Fildern im offenen Dialogverfahren offen denken? Geht es um etwaige Mehrkosten stößt diese Freiheit an ihre Grenzen, schreibt Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Wenn bisweilen beklagt wird, dass politisches Kalkül und gesunder Menschenverstand nicht zueinanderpassen, dann ist das Geschehen der letzten Sitzung des Kommunalen Arbeitskreises Filder ein Paradebeispiel für diese These. Da ergreift der Amtschef des Verkehrsministeriums, Hartmut Bäumer, ohne Not das Wort und sagt, dass die Projektpartner von Stuttgart 21 gegebenenfalls darüber zu sprechen hätten, ob jemand etwaige Mehrkosten für eine mögliche Planänderung auf den Fildern übernähme. Viel Konjunktiv also, doch im Grunde ist das eine durchaus vernünftige Aussage: Zu einem Zeitpunkt, da das Genehmigungsverfahren für ein Projekt noch nicht abgeschlossen ist, darf man über Änderungen nachdenken. Ebenso klar ist die Aussage, dass aber auch jemand die Rechnung bezahlen muss für die neue Bestellung. So weit also kein Problem: Amtschef Bäumer hat nur gesagt, was für jeden Bauherrn gilt, der sich überlegt, ob er lieber ein ein- oder ein zweigeschossiges Häusle haben will.

 

Projektpartner an Beschlüsse gebunden

Doch Bäumer ist eben kein privater Bauherr, der über die Geschosshöhe seines Eigenheims redet, sondern ein hochrangiger Vertreter der Landesregierung, die einen höchst umstrittenen Tiefbahnhof zu bauen hat. Im vorigen Jahr bedurfte es eines Volksentscheids, um den Konflikt wenigstens halbwegs zu befrieden. Eines der wesentlichen Argumente der Tiefbahnhofbefürworter war die strikte Einhaltung des Kostenrahmens von 4,526 Milliarden Euro, und auch Ministerpräsident Kretschmann – ein ausgewiesener Gegner des Projekts – lässt seitdem keine Gelegenheit ungenutzt, diesen Betrag als Maximalsumme zu benennen. Desgleichen tun die Stadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart. Alle drei Projektpartner sind an entsprechende Beschlüsse ihrer Parlamente gebunden.

Gestern Nachmittag nun ruderte der Ministerialdirektor zurück und erklärte, dass die S-21-Kostenobergrenze weiterhin gelte. Was aber heißt das? Dürfen die Bürger auf den Fildern jetzt im offenen Dialogverfahren offen denken? Oder hat Hartmut Bäumer mit seiner Bemerkung vollkommen unbedacht die Büchse der Pandora geöffnet und versucht nun, das vermaledeite Ding ganz schnell wieder zu schließen?

Wann ist ein ergebnisoffener Dialog ergebnisoffen?

Am liebsten wäre es der Landesregierung wohl, wenn alles gleichzeitig zuträfe: eine offene Diskussion mit offenem Ausgang bei geschlossenem Kostendeckel. Doch das ist, als wolle man den Pelz waschen, ohne dabei nass zu werden. Ein ergebnisoffener Dialog ist nur dann ergebnisoffen, wenn das Ergebnis offen ist. Wenn aber das Ergebnis nicht offen sein kann, weil Verträge und Gremienbeschlüsse bestehen, sollte man nicht von einem ergebnisoffenen Dialog sprechen. Wer’s dennoch tut, lebt in der Gefahr, dass seine Worte als Mogelpackung entlarvt werden. So könnte es den Grünen nun erneut passieren, dass sie die Geister nicht mehr loswerden, die sie gerufen haben. Der Filderdialog droht zum Fiasko für die S-21-Gegner in der Regierung zu werden, wenn am Ende nicht eine Verbesserung der Filderplanung ohne Kostensteigerung steht. Wie das gelingen soll, weiß im Moment freilich niemand.

Ein Projektpartner kann das ganze Geschehen übrigens genüsslich vom Logenplatz aus betrachten: die Bahn. Egal, wie der Filderdialog ausgeht, der Konzern gewinnt. Wenn es eine neue Lösung gibt, profitiert die Bahn zumindest in betrieblicher Sicht. Wenn es bei der alten Lösung bleibt, hat sie es schon immer gewusst – und mit ihrer Planung recht behalten.