Am Donnerstag beginnt die Fußball-WM in Brasilien. Doch nach den Protesten im Land und den Affären des Weltverbands Fifa pendelt die WM zwischen Euphorie und Skandalen, kommentiert der StZ-Redakteur Carlos Ubina.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Es besteht kein Zweifel daran, dass die Brasilianer ihre Mannschaft leidenschaftlich unterstützen werden, wenn heute der Anpfiff zur Fußball-WM ertönt. Von São Paulo aus wird eine Welle der Begeisterung über den Erdball schwappen, von Rio ausgehend in den nächsten vier Wochen der Fußballkarneval herrschen, mit vielen bunt bemalten Gesichtern, singenden und tanzenden Fans. Und in seinen besten Momenten wird der Fußball die Menschen mit seinen Toren dann nicht nur mitreißen, sondern sie mit seinen sportlichen Triumphen und Tragödien auch emotional berühren.

 

Ein Mann wird dabei selbstgefällig in den WM-Arenen sitzen, von der verbindenden Kraft des Fußballs schwärmen und sich im Glanz der Weltmeisterschaft sonnen: Joseph Blatter. Doch es besteht auch kein Zweifel daran, dass diese schöne Welt des Fifa-Chefs eine Scheinwelt ist, deren düstere Seiten jetzt offen zu Tage treten. Da können die Marketingexperten rund um den Weltverband die Megaveranstaltung noch so schön schminken und die Fernsehsender das Spiel noch so perfekt ins rechte Licht rücken. Die Brasilianer mögen hinter ihrer Seleção stehen – hinter dem Turnier stehen sie nicht. Besser: nicht mehr.

Große Enttäuschung in Brasilien

Schließlich war nicht nur die Hoffnung auf volle Stadien groß, sondern ebenso auf gesellschaftliche Veränderungen und infrastrukturelle Verbesserungen. Zu groß ist aber die Enttäuschung über die vielen leeren Versprechen. Nun zeigt sich die WM in Brasilien als eine WM der Widersprüche. Auf der einen Seite der Enthusiasmus einer fußballverrückten Nation, auf der anderen Seite die Wut der Bürger über den Gigantismus und die damit verbundenen Proteste gegen die explodierten Kosten.

Umgerechnet eine Milliarde Euro sollte ursprünglich in die WM fließen, zehn Milliarden Euro sind es tatsächlich geworden. Und man hätte es nicht für möglich gehalten, dass die Global Player der Fifa einmal bescheidener daherkommen würden als die Local Player in den WM-Städten. Acht moderne Stadien hätten dem Weltverband genügt, zwölf mussten es sein. Eine Entwicklung, die verdeutlicht, dass es im Fußball abseits der Rasenplätze nur noch um Macht und Märkte, Politik und Profit geht.

Schmiergeldzahlungen sind wenig überraschend

Bislang geht die Rechnung auch auf. Die Fifa verbuchte zuletzt Einnahmen von 1,4 Milliarden Dollar. Eine beeindruckende Summe, die sich vor allem aus der Vergabe der Übertragungsrechte und den Sponsorengeldern speist. Dabei haben Blatter und Co. die Kommerzialisierung nicht nur perfektioniert, sondern ebenso an einen kritischen Punkt getrieben: Die Fifa wird als korruptes Monster wahrgenommen.

Deshalb überraschte zuletzt nicht die Tatsache, dass bei der WM-Vergabe 2022 an Katar Schmiergelder an Fußballfunktionäre gezahlt worden sind – sondern nur, dass es überschaubare 3,7 Millionen Euro waren. Schnell ist aber klar geworden, dass die englische Zeitung „Sunday Times“ einen Enthüllungsfeldzug führt und in den nächsten Tagen und Wochen mit weiteren Namen und Beträgen zu rechnen ist. Was für Blatter zur Folge hat, dass er sich auch in Brasilien nicht mehr als milder Missionar inszenieren kann.

Dort, im Land des Fußballzaubers, wollte sich der Fifa-Chef feiern lassen. Dort, inmitten euphorisierter Kollegen, wollte er seine Kandidatur für eine fünfte Amtszeit verkünden. Doch was als Krönungsmesse gedacht war, entpuppt sich nun als Krisenkongress und könnte die Fußballfamilie vor eine Zerreißprobe stellen. Nicht, weil sich das Fußballvolk mehr und mehr von den Machenschaften der Fifa abwendet. Vielmehr, weil die europäischen Verbände gegen Blatter rebellieren, die Sponsoren Aufklärung anmahnen und die Skepsis bei potenziellen Austragungsländern wächst. Das gute Geschäft mit den Gefühlen wollen sich die Protagonisten und Profiteure nämlich nicht vermiesen lassen.