Ausgerechnet jene Parteien, die die Krise verursacht haben, sollen jetzt den Karren aus dem Dreck ziehen. Das ist eine Ironie der Geschichte, meint der Athener Korrespondent der StZ, Gerd Höhler. Aber es ist die einzige Chance für das Land.

Athen – Regierung der nationalen Rettung oder doch Regierung der nationalen Verantwortung? Einen gemeinsamen Namen für ihr Projekt haben der konservative griechische Wahlsieger Antonis Samaras und der sozialistische Parteichef Evangelos Venizelos zwar noch nicht gefunden. Aber immerhin scheint ihnen klar zu sein, dass sie in dieser verzweifelten Lage des Landes an einem Strick ziehen müssen. Zumindest arithmetisch geht die Rechnung auf, beide Parteien haben zusammen 162 der 300 Mandate im neuen Parlament. Aber wie sieht es politisch aus?

 

Konsens ist kein griechisches Wort. Das Wahlrecht ist bis jetzt darauf angelegt, der stärksten Partei die absolute Mehrheit zu geben. Das funktionierte fast vier Jahrzehnte lang – Sozialisten und Konservative regierten abwechselnd das Land, mit den bekannten Folgen: Klientelwirtschaft und Korruption blühten, die politische Kultur verwahrloste, nun steht Griechenland vor der Pleite. Dass sich jetzt ausgerechnet diese beiden Parteien anschicken, das Land mit vereinten Kräften zu retten, ist eine Ironie der Geschichte.

Eine Chance zur Läuterung

Auch deshalb birgt das angestrebte Regierungsbündnis das Risiko des Scheiterns in sich. Samaras und Venizelos repräsentieren die alte politische Klasse, der viele Griechen inzwischen zutiefst misstrauen. Und Alexis Tsipras, der Chef des radikalen Linksbündnisses Syriza, will sich nicht einbinden lassen, sondern als zweitstärkste Partei bei der Wahl in der Opposition bleiben. Trotzdem gibt es gute Gründe für eine Koalition der konservativen Nea Dimokratia und der sozialistischen Pasok. Der erste Grund: Griechenland braucht dringend eine handlungsfähige Regierung, ein nochmaliges Scheitern der Koalitionsgespräche und ein dritter Wahlgang führten in den sicheren Staatsbankrott. Der zweite Grund: eine solche Koalition bietet eine Chance zur Läuterung und Erneuerung der beiden angeschlagenen Traditionsparteien – dann nämlich, wenn sie zeigen, dass sie mit den Problemen entschlossen und verantwortungsvoll umgehen.

Aber die neue Regierung steht vor großen Herausforderungen, wenn sie das Risiko eines finanziellen Zusammenbruchs minimieren will. Im Juli wird der griechische Staat keine Renten und Gehälter mehr bezahlen können, wenn die EU bis dahin keine neuen Kreditraten auszahlt. Voraussetzung dafür ist eine Inspektion der Troika, die erweisen sollte, dass die verschleppten Strukturreformen, die auf Eis gelegten Privatisierungen und die vernachlässigte Haushaltskonsolidierung wieder in Gang kommen. Je schneller eine neue griechische Regierung gebildet wird, desto rascher kann die Troika anreisen.

Nur eine kurze Atempause

Damit eröffnet sich für Griechenland die Hoffnung auf eine Freigabe der im Mai zurückgehaltenen Kreditrate von einer Milliarde Euro – Geld, das der Athener Finanzminister für den Haushalt dringender denn je braucht. In einer zweiten Phase der Troika-Verhandlungen wird es um die anderen großen Aufgaben gehen, die auf der Agenda der künftigen Regierung stehen: die Rekapitalisierung der angeschlagenen Banken und die Finanzplanung der Jahre 2013 und 2014, in denen Griechenland weitere 11,7 Milliarden Euro einsparen soll. So sieht es die bisherige Planung vor. Dass die Griechen die Vorgabe erfüllen können, ohne ihre rezessionsgeplagte Realwirtschaft völlig abzuwürgen, ist schwer vorstellbar.

Inzwischen hat nach Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle die Bereitschaft signalisiert, den Griechen mehr Zeit für die Haushaltskonsolidierung zu geben. Eine solche Kurskorrektur könnte in zehn Tagen auf dem EU-Gipfel eingeleitet werden. Auch deshalb ist es wichtig, dass Samaras in Athen schnell eine Koalition zusammenbekommt. Mit der Wahl vom Sonntag hat sich Griechenland eine Atempause verschafft – aber nur eine kurze.