Der Auftakt der großen Koalition aus CDU und SPD ist verunglückt, er ist bisher vor allem von Streit geprägt. Die neue Regierung erinnert fatal an die schlechtesten Zeiten der alten, kritisiert deshalb der Berliner Büroleiter der StZ, Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Deutschland wird gerade vom beliebtesten Parteienbündnis überhaupt regiert. So waren zumindest die Umfragen nach der letzten Wahl zu deuten, als Union und SPD zwangsweise zueinanderfinden mussten. Weil das Krisenmanagement der ersten großen Koalition unter Angela Merkel in Zeiten kollabierender Banken noch gut in Erinnerung war, erhofften sich viele eine Neuauflage. Wenn die Damen und Herren Großkoalitionäre aber so weitermachen, werden sie die hohe Popularität einer Regierung der Volksparteien bald verspielt haben.

 

Der Auftakt ist verunglückt. Und das hat nichts mit dem folgenreichen Ausrutscher der Chefin beim Skilanglauf zu tun. Die große Koalition hat noch nichts zuwege gebracht – außer: Schlagzeilen, in denen das Reizwort „Streit“ vorkommt. Seit es sie gibt, ist diese Regierung vor allem damit aufgefallen, dass sie bei vielen Fragen unterschiedliche Ansichten vertritt. Die Liste der Konfliktthemen ist länger als die bisherige Amtszeit nach Wochen. Ob es nun um den Mindestlohn geht, um eine staatlich subventionierte Elternteilzeit, um Vorratsdatenspeicherung oder um die Rentenpläne – überall scheint Dissens zu herrschen. Das erinnert fatal an die schlechtesten Zeiten von Schwarz-Gelb.

Nebendarsteller auf leerer Bühne

Für diesen Eindruck gibt es drei Gründe: die Schwächen des Koalitionsvertrags, falsche Erwartungen und die Eigentümlichkeiten des politischen Betriebs. Um beim Letzten zu beginnen: kaum war der Koalitionsvertrag besiegelt, das Kabinett vereidigt, verabschiedeten sich die durch zähe Verhandlungen und langwierige interne Überzeugungsarbeit strapazierten Akteure in den Weihnachtsurlaub. Auf einer leeren Bühne genießen auch Nebendarsteller große Beachtung, egal was sie von sich geben.

Unter diesem Aspekt ist das Debüt der beiden SPD-Minister Manuela Schwesig und Heiko Maas zu betrachten. Schwesig glaubte, ihrer in Sachen Selbstvermarktung unübertrefflichen Vorvorgängerin von der Leyen nacheifern zu müssen. Noch mangelt es ihr aber an professioneller Finesse, um sich ähnlich nachhaltig in Szene zu setzen. Maas wiederum hat mit seinem Veto gegen einen vorschnellen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung den richtigen Instinkt zur falschen Zeit bewiesen. Sein Argument, wonach es sich bei der als Schablone vorgesehenen EU-Richtlinie um Makulatur handeln könnte, hätte ihm auch schon während der Koalitionsverhandlungen einfallen können.

Am Ende zählt nur das gemeinsam Erreichte

Was den Koalitionsvertrag angeht, so zeigt sich, dass er keineswegs frei ist von Konstruktionsfehlern, die wegen leidiger schwarz-gelber Erfahrungen unbedingt vermieden werden sollten: Es enthält zu viele Lücken und ungeklärte Details. Das offenbart der Streit über die Rentenpolitik sowie über die Frage, für wen der angeblich flächendeckende Mindestlohn alles nicht gelten soll. Mit Rücksicht auf die Sensibilität des sozialdemokratischen Parteivolks wurde auf manche Konkretisierung verzichtet. Wegen der entsprechenden Leerstellen drängt sich nun bisweilen der Verdacht auf, Schwarz-Rot habe die Koalitionsverhandlungen noch vor sich.

Wer eine große Koalition mit größtmöglicher politischer Eintracht verwechselt, der muss zwangsläufig enttäuscht werden. Dass Union und SPD sich auf ein gemeinsames Regierungsprogramm verständigt haben, ist allein den parlamentarischen Kräfteverhältnissen aufgrund des Wählervotums geschuldet – und nicht etwa der plötzlichen Erkenntnis, ihre im Wahlkampf wechselweise bekämpften Überzeugungen könnten doch ganz gut harmonieren. Merkels Juniorpartner neigen zur Profilneurose. Den Sozialdemokraten ist das nach den prekären Erfahrungen mit der letzten großen Koalition noch nicht einmal zu verdenken. Am Ende zählt aber nur, was die Regierung gemeinsam erreicht – nicht, worüber sie sich gestritten hat.