Die Begeisterung für Papst Franziskus hält auch nach einem Jahr im Amt an. Die von vielen Katholiken, auch in Deutschland, ersehnten Reformen bleiben aber aus. Man wird aus dem Papst nicht schlau, bilanziert der StZ-Kulturchef Tim Schleider.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Zwölf Monate lang steht Papst Franziskus nun schon an der Spitze der katholischen Kirche – und die Begeisterung für den freundlich-fröhlichen Argentinier scheint ungebrochen, weit über die Grenzen besagter Kirche hinaus. Jorge Mario Bergoglio ist ein Papst, der die Nähe sucht, dem keine Begegnung, keine Berührung mit dem Mitmenschen unangenehm wäre, der diesen Mitmenschen, egal in welcher Gestalt, tatsächlich als Nächsten sieht und annimmt. Franziskus kennt die Macht der Bilder. Er liefert der Welt Bilder von Freundlichkeit und Barmherzigkeit. Dafür lieben ihn sehr viele Menschen. Sie hoffen, die Energie solcher Auftritte möge ein Zeichen sein für die Zukunft der Institution Kirche insgesamt.

 

Aber machen wir uns nichts vor: Verglichen mit den vielen starken Bildern dieses ersten Franziskus-Jahres ist der Ertrag an konkreten Inhalten oder gar Beschlüssen frappierend gering. Franziskus hat manche Ämter neu besetzt, viele Kommissionen frisch berufen und einige Debatten benannt. Wirklich neue Positionen hat er bisher noch nirgends bezogen, weder im Verhältnis zu den kritischen Laien, noch in Fragen der Rolle der Frauen in der Kirche, der Empfängnisverhütung oder der Sexualmoral, um nur einmal jene Debatten zu nehmen, die im deutschen Katholizismus seit Jahr und Tag eine große Rolle spielen.

Inhaltlich ist Franziskus nicht weiter als Benedikt

Alle Versuche, aus zum Teil recht beiläufigen Worten des Papstes grundsätzliche Änderungen auch der Kirchenlehre im Sinne einer neuen Nähe zum Nächsten und seinen Nöten ableiten zu können, erweisen sich im Nachhinein als völlig überzogen. Inhaltlich ist Franziskus an keiner Stelle weiter, als es sein Vorgänger Benedikt je war. Jener Benedikt übrigens, dem es einst bereits im ersten Amtsjahr sehr wohl gelungen war, die programmatische Ausrichtung seines Pontifikats wirkungsvoll abzustecken – eben betont konservativ. Mit anderen Worten: es geht schon, wenn man will, auch im Vatikan. Will Franziskus also vielleicht gar nicht? Jedenfalls nicht so, wie es viele engagierte Laien vor Ort in den deutschen Gemeinden gerne hätten?

Im Grunde ist für die deutschen Katholiken in diesen Tagen viel wichtiger, was in Münster geschieht, auf der Frühjahrsversammlung der Deutschen Bischofskonferenz – auch, wenn sie in diesem Leitungsgremium kein Wort mitzureden haben. Am Mittwoch werden die 66 Bischöfe aus ihren Reihen einen neuen Vorsitzenden bestimmen. Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch steht nach sechs Jahren nicht mehr zur Wahl.

Wie groß ist die Eigenständigkeit der nationalen Kirchen?

Seine Nachfolge wird ein Indiz sein für die Kräfteverteilung in der Bischofskonferenz, für das Verhältnis zwischen konservativen und liberalen Kirchenführern. Und nur ein starker Vertreter wird auch in der Lage sein, in Rom den berechtigten Fragen und Nöten vieler deutscher Katholiken aus den Gemeinden und der Seelsorge vor Ort Gehör zu verschaffen. Im Herbst könnte sich da vieles entscheiden, wenn der Vatikan zur Sondersynode zu „Fragen der Familie“ ruft.

Die Frage an Papst Franziskus wird eben keineswegs nur sein, welche Reformen in der Weltkirche er selbst anstößt. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, welches Maß an Eigenständigkeit der Vatikan womöglich auch in inhaltlichen Debatten den nationalen Bischöfen künftig überlässt. Die beiden konservativen Päpste vor ihm haben nie einen Zweifel gelassen, wer in allen Fragen von Glauben, Sitte und Moral das Sagen und die Weisung hat, nämlich die zentralen Kommissionen im Vatikan. Die Öffnung der Diskussion, die Befreiung von lebensfernen Dogmen, die sich so viele katholische Laien in Deutschland wünschen, ist nur mit einer wenigstens vorsichtigen Abkehr vom römischen Zentralismus möglich. Das ist im Grunde der entscheidende Punkt, an dem Papst Franziskus künftig auch zu messen ist. Und auch da sind wir längst noch nicht schlau aus ihm geworden.