Bei uns folgt die Familienförderung dem Gießkannenprinzip – ein alter Fehler, wie der StZ-Politikredakteur Armin Käfer meint.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt und dennoch arm - arm an Kindern. Nirgendwo sonst in Europa ist der Kinderanteil an der Bevölkerung so gering wie bei uns. Die Bundesrepublik entwickelt sich zum Altenheim der EU. Das Durchschnittsalter ist in keinem unserer Nachbarländer höher, die Geburtenrate hingegen fast überall.

 

Bis zur Mitte des Jahrhunderts werden von gut 80 Millionen Bundesbürgern nur noch 64 Millionen übrig bleiben - was für sich genommen noch kein Schaden für die Menschheit wäre. Weniger Kinder bedeuten in der Tendenz allerdings noch weniger Enkel. Bei stagnierenden Geburtenraten schrumpft die Zahl der Erwerbstätigen, von deren Schaffenskraft das Land insgesamt lebt, schneller als die Bevölkerung insgesamt - ein demografisches Drama.

Fachkräftemangel wird schlimmer

Der chronische Mangel an Babys hat gravierende Folgen: Schon jetzt klagt die Wirtschaft, dass sie nicht mehr genügend Fachkräfte findet. Unser Sozialversicherungssystem, das im internationalen Vergleich mustergültig ist, droht aus der Balance zu geraten. Auf den schwindenden Nachwuchs kommen immer größere Lasten zu. Das bedroht die Stabilität der Gesellschaft.

Ist Deutschland besonders kinderfeindlich? Gewiss, alle Mütter und Väter könnten aus leidiger Erfahrung Beispiele dafür nennen. Und man kann sich schon fragen, wie es um ein Land bestellt ist, das es nötig hat, die Bürger mit einem speziellen Paragrafen in der Bundesimmissionsschutzverordnung von Klagen wegen Kinderlärm abzuhalten. Aber die wesentlichen Ursachen des Kindermangels liegen tiefer.


Es ist viel passiert in den vergangenen Jahren, um jungen Menschen die Entscheidung für ein Kind zu erleichtern: Elterngeld und Vätermonate wurden eingeführt, das Kindergeld und steuerliche Kinderfreibeträge immer wieder erhöht. Deutschland gibt mehr Geld für Familien aus als die meisten Länder dieser Welt. Das scheint die Lust am Kinderkriegen aber keineswegs zu beflügeln. In jedes Kind investiert der deutsche Staat fast 150.000 Euro während seines Heranwachsens. Und damit nicht genug. Die CSU will Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, obendrein ein Betreuungsgeld bezahlen. Erwin Teufel fordert, die "Erziehungsarbeit" von Familien müsse generell honoriert werden. Für einen Konservativen ist das eine seltsame Forderung. Ist "Erziehungsarbeit" nicht von jeher eine natürliche Aufgabe von Eltern?

Die entscheidende Frage ist eine andere: Sind die immensen Summen für Familienförderung in jedem Fall richtig angelegt? Seit Jahren drückt sich die Regierung um eine Antwort. Schon zu Zeiten der Großen Koalition hatte die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen eine kritische Bilanz der Familienförderung versprochen. Die ist bisher auch ihre Nachfolgerin Kristina Schröder schuldig geblieben.

Kinder sind Karrierehindernisse

Zweifel an der Sinnhaftigkeit mancher familienpolitischer Leistungen sind durchaus angebracht. Knapp 20 Milliarden kostet zum Beispiel das Ehegattensplitting - das sind Steuerprivilegien, von denen unterschiedslos auch Paare ohne Kinder profitieren. Mit dem Geld ließe sich manches anfangen, um das Betreuungsangebot für Kinder zu verbessern. Hier hat sich einiges getan, aber Deutschland ist immer noch Entwicklungsland. Unter Fachleuten gelten Investitionen in die Betreuungsinfrastruktur aber als die effektivste Familienförderung. Natürlich müsste sich auch in der Unternehmenskultur manches ändern. Solange Kinder ein Karrierehindernis sind, muss sich niemand über zu wenig Babys wundern.

Am Ende bleibt jede Geburt ein Wagnis - ein Risiko finanzieller Art und für das berufliche Fortkommen. Wir Deutschen sind als besonders risikoscheu bekannt. Es sollte einem zu denken geben, wenn bei einer Umfrage den meisten als Hauptgrund der niedrigen Geburtenquote nur eines einfällt: Angst vor einem Verlust an Freiheit.