Kanzlerin Angela Merkel hat die Europäische Union in der Krim-Krise auf ihre Linie gebracht. Sie taktiert in ihrem typischen Klein-Klein, stellt der Brüsseler StZ-Korrespondent Christopher Ziedler fest. Ob diese Strategie aufgeht, ist nun ihr Risiko.

Brüssel - Es mag unpassend sein, in Europas schwerster Sicherheitskrise seit Ende des Kalten Krieges Fußballvergleiche zu bemühen. Dennoch hat in Brüssel der Regierungsvertreter eines Nachbarlandes die berühmte Definition des englischen Kickers Gary Lineker zitiert, wonach Fußball ein Spiel mit 22 Mann und einem Schiedsrichter sei, an dessen Ende die Deutschen gewinnen: „Bei EU-Gipfeln ist es nun auch so.“ Tatsächlich ist erstaunlich, wie wortgetreu sich die Union Angela Merkels eher abwartende Haltung gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und weiteren Sanktionsschritten zu eigen gemacht hat. Das Duell, von dem die nähere Zukunft dieses Kontinents abhängt, heißt nun Merkel gegen Putin.

 

Dabei hatte es noch kurz vor dem Treffen ganz verschiedene Ansichten dazu gegeben, wie auf die Ereignisse rund um die Krim reagiert werden soll. Zwar stimmt es, dass die mehrheitlich russische Bevölkerung wohl auch in einer regulär vorbereiteten und durchgeführten Volksabstimmung für die Angliederung an Russland votiert hätte – nur war es eben keine. Diese erste gewaltsam erzwungene Grenzveränderung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg erfordert etwa aus Sicht der Osteuropäer, Briten oder Schweden eine härtere Antwort, ein Stoppschild, auf dem steht: Bis hierher und nicht weiter. Über ein Ende der Waffenlieferungen beispielsweise hätte man da schon einmal nachdenken können.

Angela Merkel kalkuliert anders

Auch Merkel ist bewusst, dass die europäische Sicherheitsarchitektur der Nachkriegszeit innerhalb weniger Tage zerbröselt ist. Auch sie ist bereit, europäische Werte zu verteidigen, doch sie kalkuliert anders: Die Kanzlerin hat sich auf eine lange Auseinandersetzung eingestellt und will nicht zu Beginn das wenige Pulver verschießen, das den Europäern zur Verfügung steht. Deshalb gibt es im Gegensatz zu den USA noch keine wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, sondern man stellt sie mit dem Auftrag an die EU-Kommission, diese Schritte vorzubereiten, lediglich ins Schaufenster. Deshalb wird die Liste der Personen, die mit Einreise- und Kontensperren belegt werden, nur geringfügig erweitert.

Für dieses Merkel-typische Klein-Klein gibt es ebenfalls gute Argumente – allen voran jenes, dass eine weitere Eskalation erst einmal vermieden wird. Und auch wenn der Brite David Cameron oder der Pole Donald Tusk im Stillen immer noch umtreiben mag, dass Putin diese Antwort als Einladung begreifen könnte, auch andernorts vermeintlich bedrohte Russen zu schützen – so sind die Europäer in gewisser Weise doch neu zusammengeschweißt und im Bewusstsein, dass nur ein einiges Europa etwas bewirken kann, alle auf den kleinteiligen Kurs der Kanzlerin eingeschwenkt.

Putin lässt die Kanzlerin im Regen stehen

Irritierend jedoch ist, dass er bei diesem Europäischen Rat jede strategische Debatte darüber verhindert hat, wohin dieser Konflikt führt oder was die EU aus eigenen Fehlern der Vergangenheit lernen kann, als die geopolitischen Interessen Moskaus sträflich vernachlässigt wurden.

Der Erfolg von Merkels Strategie steht und fällt damit, ob Putin sie als Schwäche oder Stärke auslegt. Ihn von Letzterem zu überzeugen, ist Sache der Diplomatie. Vielen Beteiligten ist klar, dass sich der Konflikt nur beilegen lässt, wenn irgendwann ein hochrangiger Vertreter des Westens nach Moskau reist, um mit Putin zu verhandeln. Und eigentlich kommt dafür nur Merkel in Frage – nicht nur weil sie Russisch und er Deutsch spricht, sondern weil sie mehr denn je für Europa spricht. Dem steht bisher der Vertrauensverlust im Wege. Der starke Mann im Kreml hat Merkel nach telefonischen Zusagen, eine Kontaktgruppe beziehungsweise eine Beobachtermission für die Ukraine einzurichten, zweimal im Regen stehen lassen. Dennoch sollte die Kanzlerin über ihren Schatten springen. Um den Frieden in Europa zu sichern, muss Merkel nach Moskau.