Stuttgarts Oberbürgermeister tritt nicht mehr an, die Stadt steht vor einer Zäsur. Dem Wahlkampf aber fehlt es bisher an brisanten Themen, sagt StZ-Redakteur Achim Wörner.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Das Interesse am Posten des Rathauschefs der Landeshauptstadt ist überaus rege. Mehr als zwei Dutzend Kandidatinnen und Kandidaten haben Ambitionen angemeldet, seit der Job vor wenigen Tagen ausgeschrieben worden ist. Und es steht zu vermuten, dass in den nächsten Wochen mit Blick auf den Urnengang am 7. Oktober weitere Bewerbungen folgen werden. Die Erfahrung aus vergangenen Oberbürgermeisterwahlen in Stuttgart lehrt jedenfalls, dass das Stellenangebot auch jene lockt, denen mehr an einer persönlichen Selbstdarstellung gelegen ist als daran, das zweitwichtigste Amt im Land nach dem des Ministerpräsidenten tatsächlich zu ergattern. Dabei wird für die Zukunft Stuttgarts viel davon abhängen, wer den scheidenden Wolfgang Schuster beerbt. Denn der direkt vom Volk gewählte Oberbürgermeister ist der zentrale und der mächtigste Akteur auf der kommunalpolitischen Bühne – als Chef des mehr als 20 000 Mitarbeiter starken Konzerns Stadt Stuttgart und, in Personalunion, als Vorsitzender des Gemeinderates.

 

Mit dem Abgang Schusters ist eine Zäsur verbunden

Und so steht fest, dass mit Wolfgang Schusters Abgang eine Zäsur verbunden sein wird. Er hat 16 Jahre lang die Geschicke Stuttgarts gelenkt und eine Ära geprägt. Es ist keine einfache Beziehung gewesen zwischen dem ersten Mann der Stadt, der ein enormes Tempo an den Tag legt, und seinen Bürgern, die sich nicht selten abgehängt fühlen mussten. Und doch attestieren dem nicht wieder kandidierenden OB längst auch seine Kritiker, die Stadt insgesamt sehr gut entwickelt zu haben: eine solide Kassenlage, enorme Investitionen in Bildung und Kultur und erfolgreiche Initiativen für eine kinderfreundliche und multikulturelle Stadt sind Ausweis dafür.

Diesem Umstand ist geschuldet, dass es im OB-Wahlkampf bisher an großen und brisanten Themen gemangelt hat. Gewiss, die im Gemeinderat vertretenen Parteien haben sich für ganz unterschiedliche Persönlichkeiten entschieden: CDU, FDP und Freie Wähler für den parteilosen Unternehmer Sebastian Turner; die Grünen für den Politstrategen Fritz Kuhn; die SPD für die parteilose Verwaltungsexpertin Bettina Wilhelm; SÖS/Linke für den Stuttgart-21-Gegner Hannes Rockenbauch. Wo aber unterscheiden sich diese vier Bewerber, die am Ende das Rennen unter sich ausmachen werden, in den einzelnen Positionen? Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Das wird sich noch stärker herausmendeln müssen.

Die Konstellation im Bewerberfeld ist reizvoll

An der Aufmerksamkeit des Publikums wird es dabei nicht fehlen. Die Bürger spüren, wie bedeutsam die anstehende Entscheidung ist. Als ein Indiz dafür darf die große Resonanz gelten, die die bisherigen Podiumsdiskussionen und Einzelveranstaltungen zur OB-Wahl gefunden haben. Reizvoll ist vor allem auch die Konstellation im Bewerberfeld, die schon im ersten Wahlgang Hochspannung verspricht. Schien sich noch vor Monaten ein schwarz-grüner Zweikampf abzuzeichnen, ist das Rennen inzwischen offener denn je. Vor allem Fritz Kuhn ist starke Konkurrenz am linken Rand erwachsen, zu der neben Rockenbauch auch der Pirat Harald Hermann und Jens Loewe vom Wasserforum zählen – allesamt Männer, die sich für die Wutbürger aus der Anti-Stuttgart-21-Bewegung als Wahlalternative anbieten und den Bewerbern, die von den großen Parteien unterstützt werden, zusetzen können.

Wer auch immer am Ende obsiegt, steht vor großen Herausforderungen. Denn es wird angesichts konjunktureller Signale und des Wettbewerbs der Regionen um Investitionen und Arbeitskräfte kein Selbstläufer sein, allein das heutige Niveau in der wirtschaftsstarken Landeshauptstadt zu halten. Dies wird nur gelingen, wenn die Machtfülle, die mit dem OB-Mandat verbunden ist, sich paart mit einer gestalterischen, ja, visionären Kraft des Amtsinhabers. Die Bewerber müssen in den nächsten Wochen zeigen, ob sie darüber verfügen.