Am Sonntag wählt Stuttgart den vierten Oberbürgermeister seiner Nachkriegsgeschichte. Die Landeshauptstadt braucht eine Führungsfigur, die ihre liberalen Züge pflegt und ihre Interessen selbstbewusst vertritt, meint der StZ-Lokalchef Achim Wörner.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Es gibt keine andere Großstadt in der Republik, die an ihrer Spitze so viel Kontinuität vorzuweisen hat wie Stuttgart. Mit gerade einmal drei Oberbürgermeistern ist die Schwabenmetropole seit dem Zweiten Weltkrieg ausgekommen. Und so ist es ein eher seltenes Ereignis, das alsbald ansteht. Wenn Amtsinhaber Wolfgang Schuster (CDU) im Januar ausscheidet, wird ein neues Stadtoberhaupt die Geschäfte im größten Rathaus Baden-Württembergs übernehmen. Zwar ist kaum anzunehmen, dass sich die Wahl des Nachfolgers bereits im ersten Durchgang am Sonntag entscheidet. Schließlich müsste dann einer der insgesamt vierzehn Kandidaten die absolute Mehrheit von mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Und doch werden von diesem Ergebnis wichtige Signale für die zweite, entscheidende Runde am 21. Oktober ausgehen.

 

Keine Frage: Fritz Kuhn, der für die Grünen ins Rennen geht, befindet sich nicht zuletzt angesichts der jüngsten repräsentativen Umfragen in der Favoritenrolle. Doch jetzt sind alle Prognosen und Spekulationen Makulatur, da die Bürger das Wort haben. Mit großer Spannung wird der Ausgang auch deshalb erwartet, weil viele Stimmberechtigte selbst kurz vor der Wahl noch unentschieden sind. Keiner der chancenreichsten Bewerber – weder der Bundestagsabgeordnete Kuhn noch der auf CDU-Ticket fahrende Unternehmer Sebastian Turner und die unter SPD-Flagge segelnde Schwäbisch Haller Bürgermeisterin Bettina Wilhelm – hat vorbehaltlos überzeugt.

Schuster hinterlässt große Fußstapfen

Allzu hoch sind freilich vielfach die Erwartungen an einen Rathauschef, der zugleich brillanter Manager, versierter Verwaltungsexperte, geistreicher politischer Vordenker, glänzender Redner und Volkstribun sein soll. Erinnert sei an die ersten Wahlkampfauftritte eines Mannes namens Manfred Rommel anno 1974, der sich bei mancher Podiumsdiskussion blamierte – und erst später zur prägenden Persönlichkeit wurde. Und auch Wolfgang Schuster ist im Amt gewachsen – nun, nach 16 Jahren, große Fußstapfen hinterlassend.

Um die Landeshauptstadt ist es auf vielen Feldern bestens bestellt. Während andere Kommunen über finanzielle Nöte klagen, ist die Stuttgarter Stadtkasse gut gefüllt. Als Wirtschaftsmetropole hat die Landeshauptstadt nach wie vor eine enorme Anziehungskraft. Und sie bietet eine hohe Lebensqualität angesichts hervorragender Kultureinrichtungen und Freizeitangebote. Leben und Arbeiten verbinden sich wunderbar in der Stadt, die Hölderlin einst als Fürstin der Heimat beschrieben hat. Und doch gibt es auch viele Baustellen, die der neue Amtsinhaber angehen muss.

Chef des Konzerns Stadt

Gebraucht wird dabei eine vernunftbegabte Führungsfigur, die Stuttgarts liberale Züge pflegt und die Stadt und deren Interessen selbstbewusst vertritt. Da gilt es das Megaprojekt Stuttgart 21 zu stemmen und Antworten auf die Frage zu finden, wie sich verhindern lässt, dass die Stadt im Tal im Verkehr erstickt. Ganz oben auf der Agenda muss überdies stehen, wie Stuttgart als Wohnort für Familien wieder attraktiver werden kann, da die Miet- und die Eigentumspreise selbst für Besserverdienende oft unerschwinglich sind. Und ohne Frage wird es für den neuen OB auch darum gehen, verstärkt in die Region hinein zu wirken. Denn auf sich alleine gestellt und aus alleiniger Kraft wird die eng begrenzte Landeshauptstadt die Herausforderungen der Zukunft kaum bewältigen können.

Zu wünschen ist, dass das neue Stadtoberhaupt sich dabei auf eine breite Basis stützen kann – und also möglichst viele Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Zu wichtig ist das Amt des Stadtoberhauptes, um die Entscheidung anderen zu überlassen. Denn als Chef des Konzerns Stadt und, in Personalunion, Kopf des Gemeinderates wird der Neue oder die Neue Stuttgart prägen – schon allein angesichts der Amtszeit mindestens acht Jahre lang.