Eigentlich ist „The Artist“ ein hirnrissiges Unternehmen. Trotzdem hat der Streifen über den Beginn des Tonfilms fünf Oscars gewonnen, schreibt Tim Schleider.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Welch ein Triumph! Stell Dir vor, es ist Oscar-Nacht, ganz Hollywood ist versammelt, alle wichtigen und mächtigen Leute des amerikanischen Kinos - und wer heimst den großen Sieg ein? Frankreich! Ein französischer Komponist, ein französischer Schauspieler, ein französischer Regisseur und ein französischer Produzent holen in diesem Jahr die wichtigsten Oscars heim ins Geburtsland des Kinos, auf den europäischen Kontinent.

 

Das eigentlich völlig hirnrissige Unternehmen namens „The Artist“, ein Stummfilm aus dem Hier und Jetzt über den Beginn des Tonfilms vor über achtzig Jahren, hat fünf glanzvolle Academy Awards gewonnen: für die beste männliche Hauptrolle (Jean Dujardin), die beste Regie (Michel Hazanavicius), die beste Musik (Ludovic Bource) und den besten Film (Produzent: Thomas Langmann). Immerhin, der fünfte „Artist“-Oscar ging an einen Amerikaner: Mark Bridges schuf die Kostüme. Es war herrlich: Außer letzterem sprachen alle übrigen Genannten in ihren Dankesreden ein grauenhaftes Englisch. Und man mache sich nichts vor: Da mag im Vorfeld der Academy-Abstimmung noch so stark die Werbetrommel gerührt worden sein, dass diese Künstler, die in Amerika bis vor wenigen Wochen absolute No-Names waren, hier derart triumphierten, ist schlicht und einfach eine Sensation. Aber auch ein hochverdienter Lohn für einen der schönsten und klügsten Filme der jüngeren Zeit.

Scorsese hat das Nachsehen

Das Nachsehen hatte darüber Martin Scorsese, dessen 3-D-Film „Hugo“ ja ausgerechnet in Paris spielt und in seiner Geschichte ebenfalls die Anfänge des Kinos feiert. Mit ebenfalls fünf Oscars sieht es nach Gleichstand aus. Aber die Awards gab es hier in den etwas weniger zentralen Kategorien wie Kamera, Schnitt und Ton. Immerhin, Stuttgart darf sich freuen: der Oscar für die besten visuellen Effekte geht auch in die Landeshauptstadt Baden-Württembergs, in dessen inzwischen weltbekannten Studios sie teilweise entstanden.

Zwei weitere große Momente der Oscarnacht gehörten zwei ganz großen Schauspielern Hollywoods. Der 82-jährige Christopher Plummer bekam seinen ersten Oscar überhaupt - für die beste männliche Nebenrolle: In „Beginners“ spielte er einen Mann, der erst in fortgeschrittenem Alter den Mut für sein schwules Coming-Out aufbringt. Und dann natürlich die unvergleichliche Meryl Streep, die ihren dritten Oscar bekam, diesmal für die kongeniale Darstellung der früheren britischen Premierministerin Maggy Thatcher in „The Iron Lady“. Das waren große, sehr bewegende Augenblicke in dieser Oscar-Gala - die den Zuschauer hierzulande darüber hinwegtrösten konnten, dass die deutschen Oscar-Nominierten Wim Wenders ( „ Pina“) sowie Max Zähle und Stefan Gieren (“Raju“) leer ausgingen. Meryl Streeps Vorfahren stammen schließlich aus Baden. So haben wir auch ein bisschen Anteil an dieser großen Schauspielerin.