Wer sicher gehen will, öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, muss nur eine Pkw-Maut vorschlagen. Doch die Debatte darüber verdrängt, dass es wichtigere Themen gibt, findet StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Wer als Politiker in Deutschland sichergehen möchte, es auf die Titelseiten der Zeitungen zu schaffen, der macht einen Vorschlag zur Pkw-Maut. Wer letzte Zweifel beseitigen will, ob er damit genügend Aufmerksamkeit erfährt, muss es in einer nachrichtenarmen und verkehrsreichen Zeit tun. Ostern ist ideal. EU-Kommissar Günther Oettinger und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig haben also alles richtig gemacht: Ihren Vorschlägen, mit einer Pkw-Maut Verkehrswege zu finanzieren, war maximale Beachtung garantiert.

 

Nun ist die öffentliche Infrastruktur in Deutschland tatsächlich in weiten Teilen in keinem guten Zustand. Zwar ist das Straßen- und Schienennetz eng, doch viele der Verkehrswege sind auf Verschleiß gefahren worden. Ein Beispiel: von den 67 000 kommunalen Straßenbrücken in Deutschland ist fast jede zweite sanierungsbedürftig. Modernisierungsbedarf besteht aber auch bei Tausenden Schul- und Hochschulgebäuden. Und Investitionen in den Ausbau des ultraschnellen Internets oder Höchstspannungstrassen sind Mangelware.

Infrastruktur ist unterfinanziert

Den bisher umfassendsten Befund zur Verkehrsinfrastruktur lieferte vor gut einem Jahr eine Expertenkommission, die Bundes- und Landesverkehrsminister eingesetzt hatten. Danach fehlen in Deutschland sieben Milliarden Euro jährlich, um die bestehende Infrastruktur zu sanieren und langfristig funktionsfähig zu halten – neue Projekte wurden dabei nicht berücksichtigt. Auftreiben wollten die Minister die Summe unter anderem mit höheren Ausgaben des Bundes, einer erweiterten Lkw-Maut – und besagter Pkw-Abgabe.

Doch was damals als Instrumentenkasten für die sich bildende Bundesregierung gedacht war, hat diese nicht groß beeindruckt. Statt jener sieben Milliarden Euro pro Jahr sind nun lediglich fünf Milliarden Euro eingeplant – verteilt auf vier Jahre. Und damit nicht genug: auch für den Ausbau eines schnellen Breitbandnetzes fehlen die Mittel. Mindestens 20 Milliarden Euro werden in den nächsten Jahren dafür benötigt. Trotz vollmundigster Ankündigungen von Infrastrukturminister Alexander Dobrindt ist aber derzeit völlig offen, ob Geld fließt, und wenn ja, von wem.

Große Koalition setzt falsche Prioritäten

„Ein Land, in dem Straßen und Brücken verrotten, wird selbst verrotten“, warnte Ministerpräsident Albig schon vor Längerem. Ergänzen möchte man: ein Land, das sich die Energiewende auf die Fahnen geschrieben hat, aber unfähig ist, Stromtrassen zu legen, wird schon bald große Schwierigkeiten haben. Und ein Industrieland, das es nicht schafft, eine leistungsfähige IT-Infrastruktur aufzubauen, hat im globalen Wettbewerb keine Chance.

In diesen Fragen zeigt sich einmal mehr, wie statisch und rückwärtsgewandt die große Koalition agiert. Zu groß sind einerseits der Wunsch, soziale Wohltaten zu verteilen, und andererseits der Imperativ der Null-Neuverschuldung. Für Zukunftsprojekte hat die Vereinigung von CDU und SPD leider kaum Geld übrig. Dabei wären die Mittel – bei anderer Prioritätensetzung – durchaus vorhanden: im ersten Quartal dieses Jahres haben Bund und Länder offenbar wieder Rekordeinnahmen erzielt.

Ärgerliche Debatte

Die Debatte über die Pkw-Maut ist in vielerlei Hinsicht ärgerlich. Sie ist ärgerlich, weil der Politik wieder nur einfällt, nach höheren Einnahmen zu rufen, anstatt zunächst ihre Hausaufgaben zu machen: Hemmnisse im Planungsrecht zu beseitigen oder Rahmenbedingungen für private Investitionen zu schaffen. Die Diskussion ist ärgerlich, weil die Pkw-Maut von vielen reflexhaft abgelehnt wird, obwohl sich die meisten Verkehrsexperten einig sind, dass ohne sie Straßen und Brücken langfristig nicht zu erhalten sind. Am ärgerlichsten ist jedoch, dass sich viele über eine Maut ärgern, die hartnäckige Weigerung der Bundesregierung, Zukunftsinvestitionen anzustoßen, jedoch kritiklos akzeptieren.