Ein Befürworter und ein Gegner von Stuttgart 21 stellen sich der Stuttgarter SPD zur Wahl. Mit ihrer Entscheidung geben sie eine Richtung vor.

Stuttgart - So schnell kann's gehen. Vergangenen Donnerstag ist Winfried Kretschmann zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden, danach mussten die Minister der Grünen und der SPD ihre Amtseide leisten. Bereits am Samstag ist den Stuttgarter Sozialdemokraten ihr Kreisvorsitzender Andreas Reißig abhandengekommen. Der Stadtrat und Pressesprecher der Landes-SPD wird wohl als Pressesprecher in eines der SPD-geführten Ministerien wechseln, also muss seine Kreispartei am Montagabend einen neuen Vormann küren. Die Delegierten haben die Wahl zwischen Ergun Can, einem Befürworter von Stuttgart 21, und Dejan Perc, einem Kritiker des Bahnprojekts. Mit ihrer Entscheidung geben sie auch eine Richtung vor.

 

Doch wer immer im Kleinen Kursaal das Rennen macht - er übernimmt eine bitterschwere Aufgabe. Denn die Stuttgarter SPD ist an einem Tiefpunkt angelangt, darüber kann die neue Koalition mit den Grünen und ihre Beteiligung an der Landesregierung nicht hinwegtäuschen. Nur 20,4 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen hier am 27.März auf "die gute alte Tante SPD". Es war ihr schlechtestes Resultat seit dem Zweiten Weltkrieg. Seit 2006 haben die Stuttgarter Sozialdemokraten keinen Abgeordneten mehr im Landtag - das wird auch die kommenden fünf Jahre so bleiben. Die SPD ist keine Großstadtpartei mehr, sie steht in der Landeshauptstadt nur noch auf Platz drei, deutlich hinter den Grünen (34,5 Prozent) und der CDU (31,5 Prozent).

Zerreißprobe für die gespaltene Basis

Wegen Stuttgart 21 droht der SPD eine Zerreißprobe - auf Landesebene, besonders aber in Stuttgart. Die Basis ist tief gespalten, die Ratsfraktion gilt als Befürworter, der starke linke Flügel als erbitterter Gegner. Peter Conradi, ehemals Kreisvorsitzender und langjähriger Abgeordneter im Bundestag, hat während der Schlichtung unter Heiner Geißler das Nein in der SPD verkörpert; zwischen ihm und dem jetzt scheidenden Kreisvorsitzenden Andreas Reißig ist das Tischtuch zerschnitten.

Man fragt sich, wie es der neue Kreisvorstand schaffen will, wieder Ruhe in seine Reihen zu bekommen. Vorerst bleibt die Lage brisant und angespannt. Noch weiß niemand, wie der Stresstest ausgeht und was danach passiert. Kommenden Samstag steht die nächste Großdemo an, die sich gezielt gegen die Befürworter in der SPD richten wird. Im nächsten Jahr ist OB-Wahl, die Suche nach einem Kandidaten wird gerade für die SPD besonders delikat.