Unsere Heimat verändert sich rasant. Statt uns zu ängstigen, sollten wir die Entwicklung als Bürger gestalten, kommentiert unsere Autorin Barbara Thurner-Fromm anlässlich des StZ-Kongresses „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt“.

Stuttgart - Kaum ein Tag ohne Rekordzahlen: Schon 11 000 Kilometer Stau zwischen Stuttgart und Leonberg in diesem Jahr – deutscher Meister! So viele Feinstaubalarme wie nie zuvor – und doch noch immer belastet wie keine andere Stadt – Rekord! Mittlere Eigentumswohnungen 11,3 Prozent mehr wert als vergangenes Jahr – Zweiter bundesweit! Nur München ist teurer. Mehr als 5000 Zugezogene allein im ersten Halbjahr 2016. Und wenn sich mal jemand die Mühe machen würde, die Baukräne in der Stuttgarter Innenstadt aufzulisten, käme er wohl auch auf Spitzenwerte.

 

Keine Frage: Stuttgart wächst – wie viele andere Metropolen. Und die Menschen, die hier leben, sind zumeist zuversichtlich, dass ihr „Städtle“ dabei gedeiht und blüht. In der Tat ist ja viel Neues zu entdecken, dazu genießt man Wohlstand, ein hohes Maß an Sicherheit, Komfort und kulturellem Ambiente. Aber Stau und Feinstaub, unerschwingliche Mieten und gestresste Pendler in übervollen Zügen sind die Kehrseite der Medaille. Stehende Fahrzeugkolonnen bedeuten strapazierte Nerven, vergeudete Zeit und mindern Lebensqualität.

Beschleuninigung – das Mantra des 21. Jahrhunderts

Der tägliche Verkehrkollaps steht auch in krassem Gegensatz zum Mantra des 21. Jahrhunderts: Beschleunigung in einer globalisierten Welt. Die Digitalisierung durchdringt alle Bereiche; sie verändert unser engstes Umfeld und unseren Alltag grundlegend. Man denke sich nur mal 15 Jahre in eine x-beliebige Straßenbahn zurück. Damals herrschte dort buntes Durcheinander. Heute findet man schweigende, aufs Display ihres Handys starrende Menschen vor. Doch das ist erst der Anfang: Es geht um neue Konzepte für Mobilität, fürs Arbeiten und Kommunizieren, nicht nur Online-Banking, sondern auch E-Government, was viel mehr ist als papierloses Verwalten. Es gibt Ortsteile, in denen ein Computer die Verwaltungsangestellte ersetzt. All das bedeutet Veränderungsdruck bei den Menschen, Lernprozesse, die viele – keineswegs nur Ältere – ängstigen, weil sie sich der neuen Welt nicht gewachsen fühlen.

Hinzu kommt: Die gesellschaftlichen Veränderungen sind nicht weniger gravierend und rasant. Menschen aus aller Herren Länder, mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen, leben inzwischen Tür an Tür. Das erfordert von allen Beteiligten ein großes Maß an Verständigungsbereitschaft und Toleranz. Einheimische und Zugewanderte konkurrieren aber auch um Mietwohnungen, Arbeits- oder Kitaplätze. Wutbürger, die deshalb politisch Krach schlagen, sind auch Ausdruck der Sehnsucht nach einem Retro-Deutschland, das man in verklärter Erinnerung als überschaubar, heimelig und aufgeräumt empfinet, in dem man einen festen Platz hatte.

Nirgendwo gibt es mehr Gestaltungsmöglichkeit als in der Kommune

Doch ein Zurück wird es nicht geben. Nötig ist deshalb kreative Energie, um die unbestritten großen Herausforderungen zu bewältigen. Ein großes Plus dabei: Auf keiner anderen politischen Ebene können sich Bürger so stark einbringen wie in den Kommunen. Ob man neue, energieeffizientere und abgasärmere Mobilitätskonzepte ausprobiert, ob man mithilft, dass die Integration von Flüchtlingen und der soziale Friede im Viertel gelingt, oder ob man sein Wohnumfeld etwa mit Stadtgärten menschen- und klimafreundlicher gestaltet – es gibt jede Menge Gelegenheit, anzupacken und zu gestalten, statt nur zu krakeelen über die Schlechtigkeit der Welt.

Mit ihrem Fachkongress „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt“, bei dem Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zwei Tage über Herausforderungen diskutieren und innovative Lösungsansätze für die Stadt von morgen vorstellen, will die Stuttgarter Zeitung einen Beitrag leisten für eine gute Zukunft. Entscheidend ist aber das Bewusstsein, dass nur ihre Bürger eine Stadt lebenswert machen können. Unser Engagement zählt: Es ist unsere Heimat.