Wenn die großen deutschen und europäischen Bekleidungshersteller nicht zu ihrer Verantwortung in den Produktionsländern stehen, verlieren sie irgendwann ihre Kunden, kommentiert StZ-Wirtschaftsredakteur Thomas Thieme.

Stuttgart - Ali Enterprises, Tazreen und Rana Plaza. Das sind drei Namen von Textilfabriken in Pakistan und Bangladesch, die kaum je einem Menschen in Westeuropa zu Ohren gekommen wären; selbst dann nicht, wenn er dort gefertigte Unterwäsche, T-Shirts oder Jeans am eigenen Leib getragen hat. Mittlerweile kann man Kleidung von dort nicht mehr kaufen, weil es die Fabriken nicht mehr gibt. In den Führungsetagen einiger großer Bekleidungsketten in Deutschland und Europa dürften dennoch jedes Mal die Alarmglocken läuten, wenn einer der drei Namen fällt.

 

In nüchternen Zahlen ausgedrückt liest sich die Bilanz, die den Zustand der globalen Textilindustrie beschreibt, wie folgt: Am 11. September 2012 verlieren 255 Menschen beim Brand von Ali Enterprises in der pakistanischen Hafenstadt Karachi ihr Leben, 55 weitere werden verletzt. Am 24. November 2012 fordert ein Feuer in der Tazreen-Kleiderfabrik in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka mindestens 117 Menschenleben, es gibt mehr als 200 Verletzte. Etwas außerhalb von Dhaka stürzt am 24. April 2013 der Rana-Plaza-Fabrikkomplex ein und begräbt Tausende unter sich: 1127 Menschen sterben, 2438 werden verletzt oder verstümmelt.

Die Näherinnen schuften für einen Hungerlohn

Solche Nachrichten erzeugen öffentlichen Druck. Dieser ist es – und nicht der juristische Druck oder gar der eigene moralische Anspruch –, der die Firmen zunehmend daran erinnert, dass sie eine Verantwortung gegenüber denjenigen haben, die ihre Kleider nähen: überwiegend Frauen, die für einen Hungerlohn schuften, um die Familie durchzubringen. Die Verantwortung für diese fernen Mitarbeiter lässt sich nicht delegieren, egal wie viele Subunternehmer in der Lieferkette zwischen Nähmaschine und Ladenregal stehen.

Das sehen auch immer mehr Verbraucher so und stimmen mit den Füßen ab. Diese Entwicklung verstärkt sich noch durch einige (noch zu wenige) positive Beispiele von Unternehmen, die zwar im Ausland fertigen, aber langfristige und enge Partnerschaften vor Ort eingehen, sich ihres Personals annehmen, es schulen und anständig behandeln. Westliche Maßstäbe anzuwenden heißt ja nicht zwingend, auf Profit zu verzichten. Ein schlechtes Image dagegen ist langfristig gesehen immer schlecht fürs Geschäft.

Kik ließ in jeder der drei Unglücksfabriken fertigen

Der Textildiscounter Kik hat in jeder der drei Unglücksfabriken fertigen lassen – bis diese entweder abgebrannt oder in sich zusammengestürzt sind. Nun steht Kik als Hauptauftraggeber von Ali Enterprises stellvertretend für eine ganze Branche am Pranger.

Das ist vielleicht sogar zu viel der zweifelhaften Ehre. Immerhin hat Kik Entschädigungen gezahlt und hebt sich damit zumindest auf niedrigem Niveau von einem Teil der Branche ab, darunter bekannte deutsche Namen wie Adler und NKD oder auch die italienische Benetton-Gruppe. Sie alle ducken sich in trügerischer Hoffnung darauf weg, dass sich der Sturm bald legt.