Der Radsport hat so viele Skandale hinter sich, dass es keine andere Option gibt als ihn mit aller Vorsicht zu betrachten. Der Sport kämpft weiter gegen die Schatten der Vergangenheit. Ein Kommentar von StZ-Sportredakteur Tobias Schall.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Der Radsport hat eine Vorbildfunktion im Hochleistungssport. Vorbildfunktion? Der Radsport? Bitte? Ja, das muss vielleicht kurz sacken.

 

Aber es stimmt in gewisser Weise: In keiner anderen Sportart wird wegen Dopings derart intensiv kontrolliert wie im Radsport, und nirgends sonst wird derart offen über die Zweifel gesprochen, werden Leistungen hinterfragt und kritische Fragen diskutiert. Das wichtigste Thema des Hochleistungssports, das D-Thema, ist immer präsent. Das hat seine Gründe: Der Radsport hat so viele Skandale hinter sich, dass es ja auch gar keine andere Option gibt als ihn mit aller Vorsicht zu betrachten.

Er ist damit aber der Vorreiter, weil – nach allem, was man heute weiß und ahnt – in der Höher-schneller-weiter-Branche grundsätzlich fast überall Vorsicht angebracht ist. In den Zweifeln an den Leistungen der Radprofis liegt vor diesem Hintergrund mehr Ehrlichkeit als beim bisweilen zu sorglosen Umgang mit Leistungen in vielen anderen Bereichen des Sports.

Möglicherweise tut man vielen Radprofis unrecht

Das Problem ist: niemand weiß, wann der Punkt erreicht ist, an dem die Glaubwürdigkeit zurückkehrt – vielleicht nie. Manche Beobachter meinen, dass sich im Radsport nichts verändert hat, andere werfen Prozentzahlen in den Raum, von zehn über 20 bis 50 Prozent der Radprofis seien gedopt, je nachdem, wen man halt so fragt. Valide ist weder das eine noch das andere.

Möglicherweise tut man vielen Radfahrern unrecht, indem man sie ständig hinterfragt und ihre Leistungen anzweifelt, zum Beispiel die eines Christopher Froome. Auch die erneut herausragenden Erfolge der deutschen Radprofis bei dieser Tour bekommen so nicht die Aufmerksamkeit, die sie möglicherweise verdient hätten.

Das ist das miese Vermächtnis der Radsport-Verbrecher der Vergangenheit.