Ein grüner Regierungschef muss nach dem Referendum Stuttgart 21 durchsetzen. Ein Kommentar von StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Es ist ein Ergebnis, das nicht aus Gegnern des Projekts Stuttgart 21 Befürworter macht. Aber es ist ein Ergebnis, das Klarheit schafft - endlich. Wenn es überhaupt einen Ausweg aus der verfahrenen Debatte gab, dann diesen - trotz aller Unzulänglichkeiten des Verfahrens. Von Demokratie war viel die Rede in diesen letzten Monaten. Wenn das Referendum einen Sinn gehabt haben soll, dann in seiner viel beschworenen befriedenden Wirkung. Nun sind alle aufgerufen, den demokratischen Entscheid des Volkes, der nach demokratischen Entscheidungen der Parlamente erfolgte, als Schlusspunkt zu respektieren.

 

Es ist gut, dass das Ergebnis so eindeutig ausfällt, auch und gerade in Stuttgart und Umgebung. Seit Sonntagabend ist klar: Der Bahnhof wird gebaut. Es wird weiter Proteste geben, etwa gegen den Abriss des Südflügels und das Fällen uralter Bäume im Schlossgarten. Das ist nachvollziehbar angesichts des damit verbundenen Verlustes. Doch nun kann niemand mehr behaupten, dass er damit der eigentlichen Mehrheit im Volk Ausdruck verleihe. Die Gegner und ihr Sachverstand werden freilich weiterhin gebraucht. Sie haben in den vergangenen Monaten viel erreicht. Zum einen ist nach Stuttgart 21 jedem klar, dass Infrastrukturprojekte eine intensivere Bürgerbeteiligung brauchen als heute, zum zweiten haben sie die Schlichtung durchgesetzt, die Nachbesserungen am Bahnprojekt erbrachte. Nun geht es zwar nicht mehr um das Ob eines neuen Bahnhofs. Aber zum Wie sind noch viele Fragen offen, die der Mitsprache und Mitgestaltung durch die Bürger bedürfen. So können hoffentlich auch die Gräben zugeschüttet werden, die sich in den letzten Monaten in der Stadtgesellschaft aufgetan haben.

Bahn hat Baurecht, Land eine Projektförderungspflicht

Der Sieg der Projektbefürworter ist gleichzeitig eine klare Niederlage für die grüne Regierungspartei und ihre Protagonisten des Widerstands gegen den Tiefbahnhof, Winfried Hermann und Boris Palmer. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hingegen, der nicht in der allerersten Reihe der Gegner stand, kann längerfristig mit diesem Wahlausgang wohl sogar besser leben als mit dem anderen denkbaren Ergebnis: Eine Mehrheit für den Ausstieg aus Stuttgart 21, aber ohne das Quorum von einem Drittel der Wahlberechtigten, hätte seiner Partei eine Zerreißprobe beschert. So ist nun klar: die Bahn hat Baurecht, das Land eine Projektförderungspflicht.

Kretschmann selbst hatte bereits vor der Landtagswahl betont, dass er Stuttgart 21 zwar verhindern wolle, aber - anders als sein Verkehrsminister - auch angezweifelt, ob das möglich sei. Nun kommt es so, wie von vielen Grünen befürchtet: Ein grüner Ministerpräsident muss das von seiner Partei bekämpfte Bahnprojekt durchsetzen. Fraglich ist allerdings, ob ausgerechnet Winfried Hermann ein Verkehrsminister sein kann, der Stuttgart 21 gemeinsam mit der Bahn und den anderen Projektpartnern vorantreibt. Denn dass der Tiefbahnhof im Kostenrahmen bleibt, hängt auch davon ab, ob der Bau zügig vorankommt.

Die nun gewonnene Klarheit wird unter dem Strich auch der Regierungskoalition zu Gute kommen. Zwar ist es Grünen und der SPD - von Ausnahmen abgesehen - gelungen, sich im Wahlkampf nicht so ineinander zu verhaken, dass die Zusammenarbeit nach der Volksabstimmung unmöglich wäre. Doch der permanente Zank und die uneinige Darstellung nach außen haben die Koalition belastet. Nun treffen die Grünen auf einen gestärkten Koalitionspartner SPD, der nicht nur für sich beanspruchen kann, den Ausweg aus dem jahrelangen Streit um Stuttgart 21 gewiesen zu haben, sondern auch noch, seine Position durchgesetzt zu haben. Das verschiebt die Machtarithmetik.Gemeinsam muss die Koalition nun andere Themen vorantreiben, die zuletzt viel zu sehr im Windschatten des Bahnhofsprojekts segelten, wie etwa Bildung und Energie. Dafür ist jetzt hohe Zeit.