Vor der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 hat die heiße Phase begonnen, die Nerven liegen blank. Nun ist Besonnenheit gefordert.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Der Eindruck verdichtet sich, dass ein Glaubenskrieg im Gange ist in der Stadt, der Region und auch im Land, der Glaubenskrieg um einen Bahnhof. Kaum anders ist zu erklären, dass es - wie nie zuvor in der Schwabenmetropole - schon am Beginn der heißen Phase im Buhlen um des Bürgers Gunst an den Straßenrädern zu massiven Zerstörungen von Wahlplakaten kommt.

 

Zudem ziehen Protagonisten beider Lager - Befürworter wie Gegner des Milliardenprojekts - verbal übereinander her. Schon drei Wochen vor dem Urnengang am 27. November scheinen punktuell die Nerven blank zu liegen. Das lässt nichts Gutes ahnen für die nächste Zeit.

Es ist befremdlich, in welchem Maße die Toleranz abhandengekommen ist im einst so liberalen Stuttgart. Warum ist es in diesem Fall nicht möglich, die Meinung der jeweils Andersdenkenden zu respektieren? Die Positionen sind hie wie da zementiert, und sie werden - so diametral entgegengesetzt sie sind - auch nicht zur Deckung zu bringen sein. Warum also nicht einfach abwarten das Votum des Souveräns?

Akteuere müssen an einem Strang ziehen

Alle Beteiligten sind gut beraten, mäßigend zu wirken, Nüchternheit und Demut an den Tag zu legen. Das gilt zuvörderst für die Politik, die - anders als in dieser Woche - mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Da ist es wenig hilfreich, wenn der grüne Verkehrsminister zu Propagandazwecken mit einer Expertise zu vermeintlichen Ausstiegskosten an die Öffentlichkeit geht, das in der Sache nicht wirklich Neues enthält - und nur eine Seite der Medaille darstellt. Und da ist es ebenso wenig hilfreich, wenn der SPD-Fraktionschef wieder einmal emotional und reflexartig zurückkeilt.

Den Akteuren auch und gerade im bei Stuttgart 21 heillos zerstrittenen Regierungslager sollte bewusst sein, dass sie spätestens nach der Volksabstimmung zusammenfinden und gemeinsam eine Marschroute für die Zukunft festlegen müssen. Das wird erschwert, wenn die ohnehin vorhandenen Gräben immer tiefer ausgehoben werden. Eine maßgebliche Rolle wird dabei ohne Zweifel Winfried Kretschmann zukommen. Insofern ist der grüne Ministerpräsident in besonderem Maße gefordert, sich mit einseitigen Äußerungen zurückzuhalten.

Schließlich ist er nicht der Premier nur seiner Partei oder deren Wähler, sondern aller Bürger im Land. Die Verfassung gilt, hat er zu Recht - und im Gegensatz zum Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 - betont. Winfried Kretschmann muss sich mehr als alle anderen den Rücken frei halten, um am Ende des Tages die widerstrebenden Kräfte möglichst doch zusammenzuführen. Denn bei dauerhaften Glaubenskriegen, das lehrt allein schon die Geschichte, gibt es meistenteils nur Verlierer.