Viele Bürger sehen die Berichterstattung zum Bundespräsidenten Christian Wulff als parteiisch an. Eine Replik von StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Berlin - Muss der Bürger wissen, in welchem Hotel der Bundespräsident nächtigt? Muss dieser wiederum offenlegen, ob er Business oder Economy fliegt, bei welchen Freunden er übernachtet und wie hoch der Zins für seinen Kredit ist?

 

Nicht alles, was in diesen Tagen über Christian Wulff und seine Frau veröffentlicht wird, hört sich nach Skandal an. Manches klingt nach Ungeschicklichkeit, zum Teil geht es um kleinere dreistellige Beträge, und es existiert kein Beleg dafür, dass der ehemalige Ministerpräsident Niedersachsens und heutige Bundespräsident eine Gegenleistung für die diversen in Rede stehenden Gunstbeweise erbracht hat.

Erleben wir also eine Hetzkampagne, in der sich eine vermeintliche Medienhorde von links bis rechts zum Ziel gesetzt hat, Wulff zu stürzen, gestützt auf wenig mehr als auf Lappalien? Dieser Eindruck hat sich wohl in Teilen der Bevölkerung breitgemacht: In Umfragen finden zwar gut 60 Prozent der Befragten den Bundespräsidenten unglaubwürdig; aber auch mehr als die Hälfte hält den Umgang der Medien mit ihm für unfair. Auch Leserbriefschreiber in der Stuttgarter Zeitung sehen das so: "Die Medien bedienen die Sensationslust des Publikums, um weiter daraus Profit zu ziehen", schreibt eine Leserin.

Das unschmeichelhafte "System Wulff"

Zugegeben: einige der Veröffentlichungen sind ärgerlich, manche These wirkt zu gewagt. Dass etwa die BW-Bank Christian Wulff nur deshalb einen besonders günstigen Kredit eingeräumt hat, um sich bei ihm für die Rettung von Porsche in der Übernahmeschlacht zwischen den Zuffenhausenern und VW zu bedanken, ist weder belegt noch logisch. Anderes, wie etwa die kostenlosen Kleider für Bettina Wulff, wirkt für sich genommen eher belanglos.

Hinzu kommt: viele Journalisten beschleicht ein Unbehagen, dass ausgerechnet die "Bild"-Zeitung mit ihren undurchsichtigen eigenen Interessen eine Schlüsselrolle in der Affäre spielt. Und zu guter Letzt stellt sich auch die Frage nach der eigenen Transparenz und Unabhängigkeit. Genügt der Journalist den eigenen hohen Maßstäben? Das Publikum nimmt Politiker und Journalisten offenbar immer mehr als eine gemeinsame Klasse wahr - und wendet sich von beiden gleichermaßen ab.

Andererseits zeigt sich aber auch, dass die einzelnen, von Medien entdeckten Mosaiksteinchen, die für sich genommen oft banal sind, ein Bild eines "Systems Wulff" ergeben, das nicht schmeichelhaft für den Bundespräsidenten ist. Es ist das Bild eines Politikers, der die Nähe zu betuchten Freunden sucht, sich nicht selten von diesen einladen lässt und Vergünstigungen annimmt, der spitzfindig die juristisch gerade noch korrekten Antworten auf Anfragen gibt, der Zusagen ("totale Transparenz") nicht einhält und der einer Zeitung mit "Krieg" drohte, weil sie über seinen Privatkredit berichten wollte.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage nicht nur zulässig, sondern gerade zwingend, ob Wulff ein glaubwürdiger Bundespräsident sein kann, ganz abgesehen davon, dass einige der Vorwürfe auch strafrechtlich relevant sein könnten.

Auch Journalisten sind nicht immer perfekt

Dieses Bild haben Journalisten frei gelegt, die auf die Einhaltung von Standards pochen, die gerade der Träger des höchsten Amtes im Staate, der ausschließlich von seiner Reputation lebt, beachten muss. Und die allermeisten Journalisten haben sich dabei an ihren Comment gehalten, dass etwa über die "Fantasien", die "da im Internet über meine Frau verbreitet werden" (Wulff im Fernsehinterview) nicht berichtet wird.

Journalisten sind keine Heiligen. Nicht wenige von ihnen nehmen Vergünstigungen an, die Unternehmen diesem Berufsstand einräumen. Einige verrennen sich im Jagdeifer, bauschen Affären auf und halten dann einen Politikerrücktritt für einen Erfolg. In solchen Kategorien sollten sie nicht denken. Trotzdem ist es ihre Aufgabe, Vorgänge wie im Fall Wulff an die Öffentlichkeit zu bringen - auch wenn es stört.