Klagen über die Kommerzialisierung der historischen Plätze des Stuttgarter Zentrums verhallen weitgehend ungehört. Doch in Fachkreisen, vor allem in architektonischen, ist die Entwicklung durchaus Anlass hitziger Auseinandersetzungen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Vor Jahren schon „sind wir heftig gegen die Verrummelung des Schlossplatzes vorgegangen“, sagt Wolfgang Müller. Mit dem Wir meint er den Verschönerungsverein, in dessen Vorstand er sitzt. Der Verein hatte gemeinsam mit Vertretern der Stadt Richtlinien erarbeitet, damit der Schlossplatz seltener mit Werbezelten und Rummelbuden verstellt wird. Die Veranstaltungen sollten thematisch gebündelt, Auf- und Abbauzeiten verkürzt werden, um „Auswüchse zu reduzieren“, sagt Müller, „aber es ist nicht besser geworden, sondern schlechter“.

 

Dem Satz wird zuallerletzt Veronika Kienzle widersprechen. Die Bezirksvorsteherin der Stadtmitte beklagt ebenfalls regelmäßig eine Flut von mehr oder minder unansehnlichen und mehr oder minder werblichen Veranstaltungen auf den Plätzen in Stuttgarts Zentrum. Aber „ich habe den Eindruck, dass wir das nicht mehr stoppen können“, sagt sie. In Fachkreisen, vor allem in architektonischen, ist die sogenannten Kommerzialisierung des öffentlichen Raums durchaus Anlass hitziger Auseinandersetzungen. In Stuttgart beschränken die sich weitgehend auf Sitzungen des Städtbauausschusses, in dem neben Stadträten aller Parteien fachkundige Berater sitzen. Ansonsten gilt in der baden-württembergischen Landeshauptstadt der Grundsatz: Geld stinkt nicht. Und Werbung bringt Geld.

Bares in die Stadtkasse

Im November hatte die CDU im Gemeinderat gar gefordert, das denkmalgeschützte Wilhelmspalais während der Umbauzeit mit großflächiger Reklame zu verhängen. Weil der Aufsteller einer Werbetafel sich an ihnen stört, sollen am Österreichischen Platz zwei Bäume gefällt werden. Die allfälligen Werbeveranstaltungen im Zentrum spülen ebenfalls Bares in die Stadtkasse. Was ein Grund dafür sein dürfte, dass zwar „der Bezirksbeirat Vieles ablehnt“, wie Kienzle sagt – aber hernach werden im rathausinternen Durchlauf die abgelehnten Veranstaltungen genehmigt.

Dafür gibt es auch rechtliche Argumente. „Für die Verwaltung gilt das Gebot der Gleichbehandlung“, sagt Dorothea Koller, die Leiterin des Ordnungsamts. Veranstalter, die alle Auflagen erfüllen, die in einem Regelwerk zusammengefasst sind, haben ein Recht auf Genehmigung. Schlicht, weil andere ebenfalls schon eine Genehmigung erteilt bekommen haben. Alle Veranstaltungen wird auch der Bezirksbeirat Mitte nicht untersagen wollen. Wohltätige sind ein Beispiel, wie die alljährlich wiederkehrende Eigenwerbung der Ärzte ohne Grenzen. Dass – in diesem Jahr aktuell – für den Kirchentag der Schlossplatz tabu sein sollte, scheint ähnlich undenkbar.

Wesentlich schärfere Richtlininen denkbar

Um ihn zumindest von Marktschreierei freizuhalten, werden kommerzielle Veranstaltungen standardmäßig auf den Kronprinzplatz verlegt. Mit dem Ergebnis, dass sich die dort ansässigen Geschäfte über mit Zelten zugestellte Schaufenster beschweren. Um solchen Unmut zu vermeiden, sollen Verkaufs- und Werbestände künftig flächiger über die Stadtmitte verteilt werden. Sie sollen auch an den Randlagen wie dem Pariser- oder Wilhelmsplatz stehen. Sogar wesentlich schärfere Richtlininen wären denkbar: Der Gemeinderat „könnte ganz banal sagen, einmal im Monat ist der Schlossplatz freizuhalten“, sagt Koller.

Gemeinderat mit beschränktem Einfluss

Ob er dann tatsächlich frei bleibt, ist aber eine andere Frage. Denn entgegen dem Augenschein hat die Zahl der Veranstaltungen aus amtlicher Sicht nicht zu-, sondern sogar abgenommen: Versammlungen gelten formal nicht als Veranstaltung. Ihre Zahl steigt stetig. „Das ist tatsächlich ein Problem“, sagt Koller, „wenn der Platz frei ist, haben sie dort ruck, zuck eine Versammlung“. Die kann kaum verhindert werden, weil die Versammlungsfreiheit ein im Grundgesetz verbrieftes Recht ist.

Auf dem Schlossplatz hat überdies der Gemeinderat nur beschränkten Einfluss. Beispielsweise steht die alljährlich beklagte Eisbahn auf Fläche des Landes. Und auf der höheren politischen Ebene sind keine Bemühungen erkennbar, die historische Umgebung von Rummel freizuhalten.